Die Wohltaeter
das Gespräch mit seinem Arzt zurückdenken, den er einige Tage zuvor angerufen hatte.
Rask hatte lange und eingehend mit ihm gesprochen, nachdem Ninos nur schnell gemurmelt hatte, er benötige eine Gesundschreibung, weil er vorhabe, wieder zu arbeiten. Obwohl er noch nicht richtig herausgefunden hatte, wie er damit Geld verdienen sollte. Noch bevor er berichten konnte, dass er Journalist werden würde, traf ihn der fliegende Wortteppich des Arztes.
»Was Ihnen in der Gruppentherapie zugestoßen ist, nennt man Panikattacke. Sie haben eine Panikattacke erlitten! Das bedeutet keinesfalls, dass Sie keine Hilfe benötigen. Im Gegenteil«, fuhr Rask fort. »Es bedeutet, dass Sie kurz vor dem Durchbruch stehen und kurz vor der Einsicht, dass Sie krank sind.«
»Ich brauche einfach nur eine Pause«, hatte Ninos hervorgebracht, bevor er wieder unterbrochen worden war.
»Man kann nicht selbst entscheiden, ob man krank oder gesund ist. Das habe ich Ihnen schon mehrfach erklärt. Sie sagen ja selbst, dass Sie noch immer Schmerzen haben. Man kann nicht alles auf einmal haben.« Rask lachte vor sich hin. »Glauben Sie etwa, ich betreibe einen Kiosk, wo man ein und aus gehen kann, wie man gerade lustig ist? Entweder ist man krank oder gesund.«
»Dann entscheide ich mich für gesund«, sagte Ninos schlicht, obwohl seine Schulter dagegen protestierte, indem sie ihm einen stechenden Schmerz in Richtung Kopf schickte.
Doch darauf ging Rask nicht ein. »Das würde meine Glaubwürdigkeit vollkommen untergraben. Ich habe eine Diagnose gestellt,die ich gegenüber der Versicherung verantworten muss. Verstehen Sie nicht, dass ich nicht von einem Tag auf den anderen eine gegenteilige Meinung vertreten kann. Wenn Sie plötzlich ausrasten, wären all meine anderen Patienten auch davon betroffen, begreifen Sie das denn nicht? Deren Diagnosen würden dann ebenfalls in Frage gestellt. Es geht hier auch um Loyalität.«
Ninos versuchte zu erklären, dass er zwar dankbar für die Hilfe sei, sich gleichzeitig aber durch die Behandlung kränker fühle. Irgendwas stimme daran ganz einfach nicht.
»Aber es geht nicht, dass Sie mir nichts, dir nichts beschließen, aus dem System auszusteigen!«, protestierte Rask. »Denn dann haben Sie keinerlei Versorgung mehr. Sie können nicht arbeiten, ohne vorher zu genesen. Sie zäumen das Pferd von hinten auf. Vom Arbeiten wird man nicht gesund!«
Ninos wandte ein, dass er zunächst vielleicht versuchen würde, nur ein bisschen zu arbeiten, als Journalist, aber das beeindruckte Rask nicht im mindesten. Stattdessen hatte dieser nun begonnen, mit künstlichen Pausen zu sprechen. »Sie müssen einsehen, dass wir ein ganz eigenes Verfahren für Fälle wie Ihren haben. Schweden besitzt eines der großzügigsten und fortschrittlichsten Rehabilitierungssysteme der Welt.«
Dann wurde seine Stimme hart. »Außerdem müssen Sie vorsichtig sein. So eine Attacke könnte Sie jederzeit wieder überfallen. Und dann können Sie nicht mehr so einfach äußern, ob sie krank sind oder nicht. Dann werden Sie alle Hilfe benötigen, die Sie bekommen können.«
Ninos hatte erklärt, dass das, was Rask als Attacke bezeichnete, seiner Meinung nach ein positives Ereignis gewesen sei. Es habe ihn zur Kirche geführt, wo er um Antworten gebeten habe, die er schließlich auch erhalten hätte.
In diesem Moment hatte Rask die Beherrschung verloren und ihn angeschrien. »Nicht Gott entscheidet, ob Sie gesund sind. Ich entscheide!«
Daraufhin war Ninos vollends verstummt. Dass Rask sich mit Gott verglich, fand er etwas merkwürdig. Und wie unangenehm, so loszuschreien.
Nach einem Augenblick gegenseitigen Schweigens hatte Rask gesagt, er wolle nicht mehr von Gott reden, aber er könnte sich mit einer Wahrscheinlichkeit von bis zu fünfundsiebzig Prozent dazu durchringen, ihn wieder gesundzuschreiben.
Ninos verstand nicht, warum Gott für Rask ein so heikles Thema darstellte, aber er bereute nicht, es angesprochen zu haben. Denn danach war der Doktor nachgiebiger als je zuvor gewesen.
21
MIRIAM Luxemburg 1990
Als sie endlich vorgestellt werden sollte, war sie gut vorbereitet. Ihre Haare hatte sie zu einem langen Pferdeschwanz gebunden, und das Kleid aus dünnem Wollkrepp war ärmellos, hing aber gerade von ihrem Körper herab, ohne irgendwelche Formen zu offenbaren. Drei Ketten aus dicken Perlen wurden im Nacken von einem großen, eingefassten dunkelblauen Saphir aus Burma zusammengehalten. In der Hand hielt
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