Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe
Jungen wieder in die Stadt hineingeflogen und hatte ihn auf dem Dach vor jenem Kammerfenster abgesetzt, wo, wie wir oben gehört haben, der Junge nun schon eine Weile saß und darüber nachdachte, wie glücklich doch der Student sein müsse, der in der Dachkammer da drinnen in seinem Bett lag und schlief.
Die Probe
Der Student fuhr aus seinem Schlafe auf und sah, daß die Lampe noch immer auf seinem Nachttischchen brannte. „Ei, die habe ich zu löschen vergessen,“ dachte er und richtete sich auf den Ellenbogen auf, um sie hinunterzuschrauben. Aber ehe er so weit gekommen war, sah er, daß sich auf seinem Schreibtisch etwas bewegte.
Das Zimmer war sehr klein; zwischen dem Bett und dem Schreibtisch war kein breiter Raum, und der Student konnte die Bücher und Papiere, das Schreibzeug und die Photographien auf dem Tische alle deutlich sehen. Wie merkwürdig: ganz ebenso deutlich wie alles andre sah er auch einen ganz kleinen Knirps, der sich eben über die Butterdose neigte und sich ein Butterbrot zurechtmachte.
Der Student hatte im Laufe des Tages so viel erlebt, daß er allem, was ihm noch passieren konnte, fast ganz gleichgültig gegenüberstand. Er erschrak nicht und verwunderte sich auch nicht, sondern nahm es als etwas ganz Natürliches hin: dieser kleine Knirps war hereingekommen, sich etwas zum Essen zu holen.
Ohne die Lampe zu löschen, legte sich der Student wieder zurück und betrachtete den Knirps mit halbgeschlossenen Augen, der jetzt ganz seelenvergnügt auf einem Briefbeschwerer saß und sich an den Überresten von des Studenten Abendessen labte. Er zog seine Mahlzeit absichtlich so lange wie nur möglich hinaus, ja, er verdrehte die Augen vor Wohlbehagen und schmatzte mit der Zunge. Die trockene Brotrinde und die Käsereste schienen offenbar seltene Leckerbissen für den kleinen Kerl zu sein.
Der Student wollte ihn bei seiner Mahlzeit nicht stören, aber als er vollständig satt zu sein schien, redete er ihn an:
„Hallo, du, was bist denn du für ein Kerlchen?“ fragte er.
Der Junge fuhr zusammen und lief ans Fenster; als er aber merkte, daß der Student ganz ruhig liegen blieb und ihn nicht verfolgte, hielt er inne.
„Ich bin Nils Holgersson von Westvemmenhög,“ begann er. „Und ich bin ein Mensch wie du auch, aber ich bin in ein Wichtelmännchen verwandelt worden, und seitdem ziehe ich mit den Wildgänsen umher.“
„Das ist ja eine sonderbare Geschichte,“ sagte der Student. Und dann fragte er den Jungen aus, bis er ungefähr alles wußte, was Nils Holgersson seit seinem Weggange von Hause widerfahren war.
„Du hast es wahrhaftig gut,“ seufzte der Student. „Ach, wer doch an deiner Stelle wäre und alle seine Sorgen hinter sich lassen könnte!“
Bataki stand draußen auf dem Fensterbrett und hörte zu. Als nun der Student diesen Seufzer ausstieß, klopfte er mit dem Schnabel ans Fenster, und der Junge merkte wohl, daß ihn der Rabe damit mahnen wollte, doch ja die Gelegenheit beim Schopfe zu ergreifen, falls der Student das rechte Wort sagen sollte.
„Ach, du wirst mir doch nicht weismachen wollen, daß du mit mir tauschen möchtest!“ erwiderte der Junge. „Wer Student ist, will sicher nichts andres sein.“
„So hab ich heute morgen beim Erwachen auch gedacht,“ sagte der Student. „Aber du solltest nur wissen, was mir heute zugestoßen ist. Für mich gibt es kein Glück mehr. Das beste für mich wäre, wenn ich mit den Wildgänsen auf und davon fliegen könnte.“
Wieder klopfte Bataki ans Fenster; dem Jungen selbst wurde es ganz schwindlig, und sein Herz begann heftig zu klopfen, denn es klang ja fast, als sei der Student auf dem Punkt, das richtige Wort zu sagen.
„Jetzt habe ich dir erzählt, wie es mir ergangen ist,“ sagte der Junge zu dem Studenten. „Teile mir nun auch deine Geschichte mit.“
Der Student war nur zu froh, sich jemand anvertrauen zu können, und erzählte ganz der Wahrheit gemäß alles, was ihm widerfahren war. „Das eine wäre ja am Ende nicht hoffnungslos verloren, aber ich habe einen andern ins Unglück gestürzt, und das ist mir ganz unerträglich,“ sagte er zum Schlusse. „Es wäre in der Tat besser für mich, wenn ich an deiner Stelle wäre und mit den Wildgänsen umherziehen könnte.“
Jetzt klopfte Bataki noch lauter ans Fenster; aber der Junge blieb eine gute Weile ganz ruhig und still sitzen und schaute nur geradeaus.
„Warte einen Augenblick, ich komme wieder,“ sagte er dann leise zu dem Studenten.
Hierauf
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