48 - Waldröschen 07 - Der Kaiser von Mexiko
ERSTES KAPITEL
Der Tote mit der Geiernase
Auf der Reede von Rio de Janeiro, der Hauptstadt Brasiliens, lag ein schmucker Dampfer vor Anker. Er war nicht groß. Man sah es ihm an, daß er wohl nur zum Privatgebrauch bestimmt sei.
Gewiß wollte er in kurzer Zeit die Reede verlassen, denn leichter Rauch, welcher gekräuselt dem Schornstein entquoll, zeigte an, daß man eben begann, den Kessel zu feuern.
Es war am späten Nachmittag. Die Sonne war gesunken, und die kurze Dämmerung brach herein.
Da kam von der Stadt her ein Boot, von vier kräftigen Jungen gerudert, sodaß es wie ein Pfeil über das Wasser flog und fast nicht in den Wellen, sondern in der Luft zu gehen schien.
Der Mann, welcher auf der Mittelbank saß, war jedenfalls ein Seemann. Sein volles, frisches, sonnengebräuntes Gesicht ließ den Kenner vermuten, daß er ein Deutscher, und zwar speziell ein Friese sei. Sein blaues, helles Auge ruhte mit wohlgefälligem Blick auf dem Dampfer, und als das Boot anlegte, stand er mit einem schnellen Sprung auf dem Fallreep und stieg die Stufen hinan mit der Miene eines Mannes, welcher von einem anstrengenden Ausflug müde nach Hause kommt.
Als er das Deck erreichte, trat der Steuermann auf ihn zu und meldete:
„Kapitän, da sind zwei Herren, welche mit Ihnen zu sprechen verlangen.“
„Was wollen sie denn?“ fragte der Kapitän, indem er die beiden Männer erblickte, welche auf seine Rückkehr gewartet zu haben schienen.
„Sie haben gehört, daß wir nach Vera Cruz gehen –“
„Und wollen etwa mit?“
„Ja.“
„Ah! Hm. Was sprechen Sie für eine Sprache?“
„Spanisch.“
„Gut. Wollen sehen.“
Er schritt auf die beiden Männer zu.
„Mein Name ist Wagner“, sagte er, „Kapitän dieses Schiffes.“
„Ich heiße Antonio Veridante, Advokat aus Barcelona. Dieser Señor ist mein Sekretär“, sagte der eine der beiden Männer.
„Sie wünschen?“
„Wir hörten, daß Sie nach Vera Cruz gehen.“
„Das ist allerdings wahr.“
„So wollten wir Sie fragen, ob Sie nicht die Güte haben wollten, uns mitzunehmen.“
„Señores, das wird wohl nicht möglich sein.“
Der ältere der beiden Männer, der Advokat, zog die Stirn kraus und sagte:
„Warum nicht? Wir sind bereit, sehr gut zu zahlen.“
„Das ändert nichts. Dieser Dampfer ist weder Fracht- noch Passagierschiff, er dient zu ganz bestimmten privaten Zwecken.“
„Die wir nicht erfahren dürfen?“
„Es würde Sie nicht interessieren.“
„So schlagen Sie uns unsere Bitte wirklich ab?“
„Ich bin leider gezwungen.“
„Wir müssen das umsomehr beklagen, als wir im Vertrauen auf Ihre Güte bereits unser Gepäck mitgebracht haben.“
„Sapperlot! So haben Sie wohl gar das Boot zurückgeschickt, welches Sie an Bord brachte?“
„Nein. Das gab Ihr Steuermann nicht zu. Es liegt seitwärts am anderen Bord.“
„Ich hoffe, daß Sie eine baldige Gelegenheit finden.“
„Wir wünschen es auch; doch wird dieser Wunsch wohl nicht so bald in Erfüllung gehen. Ich habe bedeutende Verluste zu befürchten, welche ich erleide, wenn ich nicht schleunigst eintreffe.“
„So.“
Sein Auge überflog noch einmal die beiden Männer. Sie hatten beide etwas an sich, was ihm nicht gefiel; aber sonst zeigten sie ein ehrbares, achtungsforderndes Äußeres. Es war übrigens bereits so dämmerig, daß man Einzelheiten nicht gut mehr sehen konnte.
„Große Verluste?“ fragte er. „Sind sie bedeutend?“
„Sehr.“
„Wohl für eine Bank, deren Vertreter Sie sind?“
„Nein, sondern für einen Privatmann.“
„Darf ich fragen, wer das ist?“
„Ja. Ich meine den Grafen de Rodriganda.“
Kaum war dieses Wort ausgesprochen, so trat der Kapitän einen Schritt näher.
„Was?“ fragte er. „Habe ich recht gehört? Rodriganda?“
„Ja.“
„Meinen Sie den Grafen, dessen Stammschloß gleichen Namens bei Manresa in Spanien liegt?“
„Ja.“
„Er hat große Besitzungen in Mexiko.“
„Ja.“
„Sie sollen mitfahren. Sie haben doch Ihre Legitimationen bei sich?“
„Das versteht sich. Wünschen Sie, sie zu sehen?“
„Jetzt nicht. Das hat für später Zeit. Das Schiff sticht bald in See, und ich habe noch anderes zu tun. Ihr Boot kann zurückgehen. Peters!“
Auf diesen Ruf kam ein Matrose herbei.
„Führe die beiden Señores nach der vorderen Kajüte. Du magst sie bedienen und bist deshalb vom übrigen frei.“
„Danke, Kapitän!“ meinte der Mann. Dann drehte er sich zu den beiden Pflegebefohlenen und
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