Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe
erzählen konnte; aber was war das gegen das Glück, es denen daheim mitteilen zu können!
Und wenn Klement auch schließlich ins Armenhaus kommen sollte, selbst das erschien ihm nach diesem Erlebnis nicht mehr schwer. Er wäre trotzdem ein ganz andrer Mensch als vorher und würde auf ganz andre Weise geachtet und geehrt werden.
Und diese neue Sehnsucht überwältigte ihn. Er konnte nicht anders, er mußte zu dem Direktor gehen und ihm sagen, er wolle durchaus in seine Heimat zurückkehren.
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Der Adler Gorgo
Im Felsental
Weit droben auf dem lappländischen Gebirge lag ein altes Adlernest auf einem Felsenvorsprung, der über einer schroffen Bergwand herausragte. Das Nest war aus Tannenzweigen verfertigt, die schichtenweise quer übereinandergelegt waren. Seit Jahren war es immer mehr erweitert und erhöht worden, und jetzt hatte es mehrere Meter im Durchmesser und lag da droben, fast ebenso groß wie eine Lappenhütte.
Die Felsenwand, auf der das Adlernest lag, überschattete ein ziemlich hohes Tal, das im Sommer immer von einer Schar Wildgänse bewohnt war; und dieses Tal war auch wirklich ein ausgezeichneter Zufluchtsort für die Gänse, denn es lag so gut versteckt zwischen den Bergen, daß es nicht vielen Leuten bekannt war; ja, selbst unter den Lappen wußte man nur wenig davon. Mitten in dem Tal lag ein kleiner runder See, wo sich reichlich Nahrung für die kleinen Gänschen fand, und an den mit Weidenbüschen und kleinen verkrüppelten Birken dicht bestandenen Ufern gab es so gute Brutplätze, wie sie sich die Gänse nur wünschen konnten.
Seit undenklichen Zeiten hatten droben auf dem Felsen Adler und drunten im Tal Wildgänse gewohnt. Alle Jahre raubten die Adler einige von den Wildgänsen, hüteten sich aber wohl, so viele zu rauben, daß diese aus dem Tale verscheucht worden wären. Ihrerseits hatten die Wildgänse auch nicht so gar wenig Nutzen von den Adlern; diese waren ja wohl Räuber, aber sie hielten andre Räuber fern.
Ein paar Jahre, ehe Nils Holgersson mit den Wildgänsen umherzog, stand die alte Führerin der Schar, Akka von Kebnekajse, eines Morgens in demFelsental und schaute zu dem Adlernest hinauf. Die Adler pflegten kurz nach Sonnenaufgang auf die Jagd auszufliegen; und in allen den Sommern, die Akka in diesem Tal verbracht hatte, war sie jeden Morgen auf ihrem Posten gewesen und hatte beobachtet, ob die Adler im Tale blieben, um da zu jagen, oder ob sie sich nach andern Jagdgebieten begaben.
Sie brauchte nicht lange zu warten, bis die beiden stattlichen Vögel die Felsenplatte verließen. Schön, aber furchtbar schwebten sie durch die Luft dahin. Sie schlugen die Richtung nach dem Flachlande ein, und Akka stieß einen erleichterten Seufzer aus.
Die alte Anführerin war nun zu alt zum Eierlegen und Junge aufzuziehen. So vertrieb sie sich denn im Sommer die Zeit damit, daß sie von einem Gänsenest zum andern wanderte und über das Ausbrüten und Aufziehen der Jungen gute Ratschläge erteilte. Außerdem hielt sie nicht allein Ausschau nach den Adlern, sondern auch nach den Bergfüchsen, den Eulen und andern Feinden, von denen den Gänsen und deren Jungen Gefahr drohen konnte.
Gegen Mittag spähte Akka wieder nach den Adlern aus. Das hatte sie nun in jedem Sommer, seit sie in diesem Tale Aufenthalt nahm, getan. Sie sah auch den Adlern immer schon am Fluge an, ob sie eine gute Jagd gehabt hatten, und dann fühlte sie sich für die Ihrigen beruhigt. Aber heute kehrten die Adler nicht zurück.
„Ich muß alt und stumpfsinnig geworden sein,“ dachte Akka, nachdem sie eine Weile gewartet hatte. „Die Adler müssen ja längst daheim sein.“
Am Nachmittag schaute sie abermals nach der Felsenwand hinauf; jetzt hätten die Adler auf dem schroffen Felsenvorsprung auftauchen müssen, wo sie ihre Nachmittagsruhe zu halten pflegten; und am Abend spähte sie abermals, denn da pflegten die Adler im Bergsee ein Bad zu nehmen; aber immer und immer spähte sie vergeblich. Und wieder jammerte Akka, daß sie alt werde. Sie war es so gewohnt, die Adler über sich auf dem Berge zu sehen, deshalb konnte sie sich gar nicht denken, daß sie noch nicht zurückgekehrt sein könnten.
Am nächsten Morgen war Akka schon früh auf den Beinen, und wieder schaute sie nach den Adlern aus. Aber auch jetzt sah sie nichts von ihnen. Dagegen drang durch die Morgenstille ein Schrei an ihr Ohr, der zornig und jämmerlich zugleich klang und aus dem Neste zu kommen schien.
„Sollte da droben wirklich ein
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