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Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe

Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe

Titel: Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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Unglück geschehen sein?“ dachte Akka. Sie breitete die Flügel aus und flog so hoch hinauf, daß sie in das Adlernest hineinsehen konnte.
    Da oben war nichts von dem Adlerpaar zu entdecken; im ganzen Neste war niemand als ein halbnacktes Junges, das nach Nahrung schrie.
    Langsam und zögernd ließ sich Akka zu dem Adlernest hinabsinken. Das war ein unheimlicher Ort! Man merkte gleich, was für Räuber hier wohnten. In dem Neste und auf der Felsenplatte lagen gebleichte Knochen, blutige Federn und Hautfetzen, Hasenköpfe, Vogelschnäbel und federnbesetzte Füße von Schneehühnern. Auch das Adlerjunge, das mitten in allen diesen Überbleibselnlag, bot mit seinem großen aufgesperrten Schnabel, seinem unbeholfenen flaumigen Körper und seinen unfertigen Flügeln einen widerwärtigen Anblick.
    Schließlich überwand Akka ihren Widerwillen und setzte sich auf den Rand des Nestes, sah sich aber doch ängstlich nach allen Seiten um, denn sie war darauf gefaßt, die alten Adler im nächsten Augenblick dahersausen zu sehen.
    „Gut, daß endlich jemand kommt!“ rief das Adlerjunge. „Verschaff mir sogleich etwas zu essen!“
    „Na na, das hat wohl keine so große Eile,“ sagte Akka. „Sag mir zuerst, wo deine beiden Eltern sind.“
    „Ja, wenn ich das wüßte! Gestern morgen sind sie fortgeflogen und haben mir nichts als eine Maus dagelassen. Du wirst dir denken können, daß die schon lange verzehrt ist! Es ist unverschämt von meiner Mutter, mich so Hunger leiden zu lassen.“

    Jetzt war Akka überzeugt, daß die alten Adler erschossen worden waren, und sie dachte, wenn sie das Junge hier verhungern ließe, wäre sie die ganze Räubergesellschaft in Zukunft los. Aber sie konnte sich eben doch nicht entschließen, ein solches verlassenes Junge so elendiglich umkommen zu lassen, wenn es in ihrer Macht stand, ihm zu helfen.
    „Was starrst du mich denn so an?“ schrie das Junge. „Hörst du nicht, daß ich etwas zu essen will?“
    Akka breitete die Flügel aus und flog rasch zu dem kleinen Seehinunter; kurz darauf erschien sie wieder im Adlernest mit einer Forelle im Schnabel.
    Aber als sie den Fisch vor den jungen Adler hinlegte, geriet dieser ganz außer sich vor Zorn. „Meinst du, ich esse solches Zeug?“ schrie er, stieß den Fisch weg und hackte mit seinem scharfen Schnabel nach Akka. „Verschaff mir ein Schneehuhn oder eine Wühlmaus, hörst du!“
    Aber jetzt streckte Akka den Kopf vor und gab dem Jungen einen ordentlichen Schlag in den Nacken. „Das laß dir gesagt sein,“ rief die Alte, „wenn ich dir Futter verschaffen soll, mußt du mit dem zufrieden sein, was ich dir bringen kann. Dein Vater und deine Mutter sind tot, von ihnen kannst du also keine Hilfe mehr erwarten. Wenn du aber lieber hier verhungern willst, während du auf Schneehühner und Wühlmäuse wartest, dann habe ich nichts dagegen.“
    Nachdem Akka dies gesagt hatte, flog sie sogleich davon und ließ sich erst nach einer guten Weile wieder in dem Neste sehen. Da hatte das Junge den Fisch verzehrt, und als Akka ihm einen neuen Fisch hinlegte, verschlang es diesen sogleich, obgleich man ihm gut anmerkte, daß er ihm abscheulich schmeckte.
    Nun hatte Akka eine schwere Aufgabe. Die alten Adler kehrten niemals wieder, und so mußte sie alle Nahrung für das Junge ganz allein herbeischaffen. Sie brachte ihm Fische und Frösche, und diese Kost schien dem jungen Adler gar nicht übel zu bekommen, denn er wuchs groß und kräftig heran. Bald hatte er seine Eltern vollständig vergessen und glaubte, Akka sei seine rechte Mutter. Und Akka liebte ihn wie ein eigenes Kind. Sie erzog ihn mit aller Sorgfalt und gab sich die größte Mühe, ihm seinen wilden Sinn und seinen Hochmut abzugewöhnen.
    Nachdem ein paar Wochen vergangen waren, fühlte Akka die Zeit herbeikommen, wo sie ihre Federn verlor und also nicht fliegen konnte. Sie wußte, während eines ganzen Monats würde sie dann nicht imstande sein, dem Jungen im Adlernest Nahrung zu bringen, und so müßte dieses elendiglich verhungern.
    „Hör nun, Gorgo,“ sagte Akka eines Tages zu dem jungen Adler. „Jetzt kann ich dir keine Fische mehr hier heraufbringen, und nun fragt es sich, ob du dich ins Tal hinunterwagst, damit ich dir auch ferner deine Nahrung verschaffen kann. Du mußt jetzt wählen, ob du lieber hier oben verhungern, oder dich ins Tal hinunterwerfen willst, was dich möglicherweise das Leben kosten kann.“
    Ohne sich einen Augenblick zu besinnen, stieg Gorgo auf den Rand des

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