Der tolle Nick
1
Das Deck war ein Schlachtfeld. Tote und Sterbende lagen umher; Holz war gesplittert, Planken waren zerborsten, Segel hingen in Fetzen; die Luft war erfüllt von Staub und Rauch und dem Gestank verbrannten Pulvers. Eine Kugel pfiff durch die Takelage; eine zweite peitschte die Wellen, die unter dem Bug der Galeone wild aufschäumten. Das Schiff schien sich aufzubäumen, zu schwanken, sich seitwärts zu neigen. Vom Quarterdeck schrie Don Juan de Narvaez einen Befehl; sein Leutnant stürzte über die Kajütstreppe in den Schiffsrumpf hinab.
Dort warteten die Soldaten in ihren stählernen Brustpanzern und Sturmhauben. Sie waren mit Hellebarden und Spießen bewaffnet, und manche hielten lange zweischneidige Schwerter in Händen. Alle starrten sie aufs Meer hinaus, dorthin, wo das kleinere Schiff, an dessen Mast das rote Georgskreuz flatterte, unbeirrbar seinen Weg auf sie zu nahm. Keiner zweifelte mehr daran, daß es zum Kampf Mann gegen Mann kommen würde; sie waren sogar froh darüber; waren sie nicht die besten Streiter der Christenheit? Was für Aussichten hatten diese Engländer denn gegen sie im direkten Kampf? Das englische Schiff hatte sich während der letzten Stunde außerhalb der Reichweite der spanischen Kanonen gehalten und die Santa Maria unaufhörlich mit seinen weiter reichenden Geschützen unter Feuer genommen. Die Soldaten im Bauch des Schiffes wußten nicht, wie schwer der angerichtete Schaden war, doch waren sie unruhig und wütend über die ihnen aufgezwungene Untätigkeit und das Unvermögen, ins Geschehen einzugreifen. Aber jetzt näherte sich das englische Schiff, dessen weiße Segel sich im Wind blähten und das wie ein Raubvogel durch die schäumenden Wellen auf sie herunterstieß.
Don Juan beobachtete, wie sich das Schiff näherte, wie seine Kanonen Feuer spuckten. Und schon war es da, kaum beschädigt, da die Hälfte der spanischen Kanonen von der hohen Galeone über den Engländer hinwegschossen. Die Venture – jetzt bestand kein Zweifel mehr, daß es die Venture war – nahm unbeirrt ihren Weg.
Bald lag sie längsschiffs und feuerte auf den Rumpf der Galeone, und wieder entkam sie unbehelligt. Dann wurde sie schneller, kreuzte den Weg des Spaniers, und ihre Kanonen wüteten furchtbar.
Die Santa Maria war nur noch ein Wrack, die Mannschaft in Panik und völliger Verwirrung. Don Juan erkannte, daß sein Schiff schwer angeschlagen war, und fluchte leise in seinen Bart. Aber er war besonnen und mutig und wußte, wie er seine Männer um sich scharen konnte. Die Venture hatte wieder Kurs auf die Galeone genommen – jetzt bestand kein Zweifel mehr, daß sie sich zum Entern anschickte. Das gab wieder Hoffnung. Mochte sie nur kommen – die Santa Maria war dem Untergang geweiht, aber auf der Venture befand sich El Beauvallet – Beauvallet, der Spanien verhöhnte, der Freibeuter, der Wahnsinnige! Seine Gefangennahme war den Verlust eines so stolzen Schiffes wie die Santa Maria wert: ja sogar noch mehr! Es gab keinen spanischen Admiral, der nicht davon träumte, Beauvallet in die Hand zu bekommen. Don Juan hielt bei diesem Gedanken den Atem an. Beauvallet, der Spanien unter dem Daumen hielt! Sollte es ihm wirklich gelingen, diesen Mann, dessen Leben vom Satan beschützt wurde, gefangenzunehmen, dann hatte ihm das Leben alles geboten, was er wollte.
Das war Don Juans Beweggrund gewesen, die Venture anzugreifen, als sie an diesem Nachmittag in sein Gesichtsfeld gekommen war. Er wußte, daß sich El Beauvallet in diesen Gewässern aufhielt; in Santiago hatte er Perinat getroffen, der erst vor vierzehn Tagen ausgezogen war, die Venture zu bestrafen. Er war in seinem eigenen Rettungsboot nach Santiago zurückgekehrt, verzweifelt, ein geschlagener Mann. Er hatte wirr von Hexerei, von einem Teufel in Menschengestalt gesprochen, der alle verhöhnte. Don Juan hatte nur geschnaubt. Dieser Dummkopf Perinat!
Aber jetzt schien es, als liefe auch er Gefahr, seine Sache schlecht zu machen. Er hatte Beauvallet den Fehdehandschuh hingeworfen, ihm, der eine Herausforderung noch nie abgelehnt hatte, und Beauvallet hatte sich gestellt und war mit seinem wendigen Schiff durch das schimmernde Meer auf ihn gestoßen.
Es hatte natürlich auch der Wunsch mitgespielt, einer gewissen Dame zu beweisen, was ein Narvaez konnte. Don Juan biß sich auf die Lippen und fühlte einen Augenblick lang Reue in sich aufsteigen. Unten, in der getäfelten Kajüte, saß kein Geringerer als Don Manuel de Rada y Sylva, der ehemalige
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