Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe
zeigen wollte. Und so betrübt er auch war, so konnte er es doch nicht lassen, auf das Land hinunterzusehen, über das sie eben hinflogen.
Da kam es ihm vor, als ob diese Insel von Anfang an eine ebenso hohe, steile Klippe gewesen sein müsse, wie die Karlsinsel, nur natürlich viel, viel größer. Aber später mußte sie auf irgend eine Weise platt gedrückt worden sein. Irgend jemand hatte wohl ein großes Wellholz genommen und war damit über die Insel hingefahren wie über ein Stück Teig; er hatte aber diese Arbeit nicht solange fortgesetzt, bis alles vollständig glatt und eben geworden war wie ein Fladen, denn als die Gänse dem Ufer entlang flogen, sah der Junge an mehreren Stellen hohe weiße Kalkwände mit Grotten und Felsenpfeilern; aber an den meisten Stellen war die Insel doch plattgedrückt, und der Strand fiel flach gegen das Meer ab.
Die Schar verbrachte einen schönen, friedlichen Sonntagnachmittag auf dem Festland. Das Wetter war so recht behaglich warm wie an einem Sommertag, die Bäume waren mit großen Knospen wie übersät, und die Frühlingsblumen bedeckten die Wiesen wie mit einem Teppich, die langen, schlanken Kätzchen der Pappelbäume schwankten, und in den Gärtchen, die jedes noch so kleine Häuschen umgaben, prangten die Stachelbeerbüsche im schönsten Grün.
Die Wärme und das Knospen und Blühen allüberall hatten die Menschen auf Wege und Stege herausgelockt; wo immer eine kleine Anzahl versammelt war, wurde gespielt, und zwar nicht allein von Kindern, sondern auch von Erwachsenen. Sie warfen um die Wette mit Steinen nach einem bestimmten Ziel und schlugen Bälle in so großen Bogen in die Luft hinauf, daß sie die Wildgänse fast erreichten. Es sah sehr lustig und hübsch aus, große Leute so spielen zu sehen, und der Junge hätte sich sicherlich darüber gefreut, wenn ihm nicht so sehr betrübt zumute gewesen wäre.
Aber er mußte doch zugeben, daß dies ein schöner Ausflug war. Überall sang und klang es fröhlich durch die Luft. Kleine Kinder spielten Ringelreihen und sangen dazu. Und die Heilsarmee war auch unterwegs. Der Junge saheine ganze Menge schwarz und rot gekleidete Menschen auf einem Waldhügel sitzen; es wurde Gitarre gespielt und auf Blechinstrumenten geblasen. Auf einer Straße kam eine große Schar Menschen daher. Das waren die Guttempler oder Antialkoholiker, der Junge erkannte sie an ihren großen flatternden Fahnen mit goldnen Inschriften. Sie sangen ununterbrochen ein Lied ums andre. Der Junge vernahm fortwährend den Schall ihrer Stimmen, solange er sich in Hörweite befand.
So oft der Junge später an Gotland dachte, mußte er immer gleich auch an Spiel und Tanz denken.
Lange hatte er still hinabgeschaut, als er zufällig die Augen aufschlug. Nein, wie erstaunte er da! Ohne daß er es gemerkt hatte, waren die Gänse von dem Innern der Insel in westlicher Richtung auf die Küste zugeflogen. Jetzt lag das weite, blaue Meer vor ihnen! Aber nicht das Meer erschien dem Jungen so merkwürdig, sondern eine Stadt, die dort an dem hohen Meeresstrand aufragte.
Die Gänseschar kam von Osten her, und die Sonne war im Untergehen, als sie die Stadt erreichte, deren Mauern und Türme und hohe Giebelhäuser und Kirchen sich vollständig schwarz von dem hellen Abendhimmel abhoben. Der Junge konnte deshalb nicht sehen, wie sie in Wirklichkeit beschaffen waren, und ein paar Augenblicke glaubte er, dies sei eine ebenso prächtige Stadt wie jene, die er in der Osternacht gesehen hatte.
Als er aber richtig in die Stadt hineinkam, da sah er, daß die Stadt hier jener auf dem Meeresgrunde ähnlich und unähnlich zugleich war. Es herrschte derselbe Unterschied zwischen ihnen, wie zwischen dem Aussehen eines Menschen, der an dem einen Tag in Purpur und mit reichem Schmuck angetan, am nächsten aber in dürftige Lumpen gehüllt ist.
Ja, diese Stadt hier hatte wohl auch einmal so ausgesehen wie jene, die er an der pommerschen Küste bewundert hatte. Diese hier war auch von einer Ringmauer mit Türmen und Toren umgeben. Aber die Türme der Stadt, die auf der Erde hatte bleiben dürfen, waren ohne Dächer, leer und öde. Die Torbogen hatten keine Türen, die Wächter und Kriegsknechte waren verschwunden, die ganze glänzende Pracht war dahin. Nur die nackten, grauen Mauern waren noch da.
Als der Junge weiter über die innre Stadt hinflog, sah er, daß sie zum größten Teil aus kleinen, niedrigen hölzernen Häusern bestand; nur da und dort fanden sich einige hohe Giebelhäuser
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