Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle
einzig und allein, dass er auf dem Felsen im Wasser Halt hatte, der Gummiindustrie des Nachbarlandes sei Dank.
Lauri griff sich mehrere Paar Kinderstiefel, schüttete das Meerwasser aus und steckte in einen der Stiefel sein Handy, in der Hoffnung, dass es allmählich trocknen und dann wieder funktionieren würde. Die übrigen Exemplare sollten ihm dazu dienen, die Möwen zu verjagen, falls sie wieder aufkreuzen und sein Haupt als Rastplatz missbrauchen würden. Und so geschah es, dass gleich das erste kreischende Biest einen roten Gummistiefel an den Kopf bekam und nach dieser bösen Überraschung von weiteren Störungen absah. Der große, kräftige Mann stand, mit Gummistiefeln an den Füßen, in einer Untiefe des Inselarchipels und zeigte ein zufriedenes Siegerlächeln.
Lauri trocknete weiter sein Handy im Kinderstiefel, und der Erfolg stellte sich ein, als er den Akku unter den Achseln wärmte. Es war Sonntag, sodass seine Frau nicht antwortete, als er sie anrief. Irma pflegte am Wochenende stets bis mittags im Bett zu liegen. Das Verschwinden des Gatten änderte nichts an ihren Gewohnheiten. Daraufhin rief er seinen guten Kumpel Kalle Homanen an, aber dessen Telefon war besetzt. So blieb ihm nichts weiter übrig, als weiter aufrecht auf dem Felsen im Inselarchipel zu stehen. Zum Glück hatte er solide Gummistiefel an den Füßen, sodass ihm nur mehr Schlafmangel, Hunger und Durst zu schaffen machten. Die Hoffnung wollte er trotzdem nicht aufgeben. Wer weiß, was das Leben noch alles für ihn bereithielt. Sorgenvoll dachte er, dass, wenn man ihn nicht innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden retten würde, seine Füße in dem frühjahrskalten Wasser, das vermutlich kaum mehr als zehn Grad hatte, erfrieren könnten. Die schweren Bergmannsstiefel waren voll Wasser, aber anders als in den flachen Sommerschuhen erwärmte sich das Wasser durch die Fußarterien, sodass vorerst keine unmittelbare Erfrierungsgefahr bestand. Auch die Knie froren nicht, denn die Stiefelschäfte reichten bis zu den Oberschenkeln. Lauri wertete es als göttlichen Glücksfall, dass das Stiefelpaket direkt zu ihm geschwommen war. Denn ohne wäre er sicher längst mit abgestorbenen Füßen zusammengebrochen und womöglich als Folge der Hypothermie ertrunken.
Dem in Seenot geratenen Mann ging so allerlei durch den Kopf. Wäre angesichts des nahenden Todes nicht der richtige Moment, die Bilanz seines Lebens zu ziehen? Aber welche? Nichtiges Leben, noch nichtigerer Tod. Schade nur, dass die Werke Pfeffer des Hohns und Salz des Spotts von Larin-Kyösti und Das Haus des tragischen Dichters von Jarkko Laine, die er sich als Abendlektüre zur Klausurtagung mitgenommen hatte, in seiner Reisetasche auf dem Schiff geblieben waren. Hier hätte er Zeit gehabt, sich in die Texte zu vertiefen, die Gedanken und die wunderbare Sprache der Autoren zu genießen. Andererseits – die Bücher wären kaum mehr in lesbarem Zustand gewesen, das Meerwasser hätte sie verdorben, und die Umschlagbilder wären längst verblasst.
Da seine Frau nicht antwortete, wählte Lauri erneut die Nummer seines besten Freundes. Die wasserdichte Uhr zeigte die siebte Stunde an.
»Hier Lauri, grüß dich. Ich telefoniere mit dem Gummistiefel eines russischen Kindes, und ich habe keine Ahnung, wie lange der Akku noch hält. Alles ist nass, und meine Achseln schwitzen. Würdest du im Namen unserer alten Freundschaft die Notrufzentrale der Küstenwache alarmieren?«
Kalle Homanen erkannte schnell, in welch gefährlicher Situation sich sein Kumpel befand. Er bat Lauri, das Handy abzuschalten und darauf zu warten, dass ein Flugzeug oder Helikopter der Küstenwache ihn aufspürte. Aus den groben Ortsangaben, die er von Lauri bekam, schloss er, dass der Verunglückte sich irgendwo im westlichen Teil des Nationalparks Inselarchipel befand. Wenn es erst heller Tag wäre, würde man ihn sicher schnell finden. Bis dahin müsste er einfach versuchen durchzuhalten.
Kalle alarmierte den Küstenschutz und den Suchhelikopter. Dann rief er den Chef der Wohnwelt an und erhielt von ihm wichtige zusätzliche Angaben über die Route, die das Ausflugsboot genommen hatte. Diese Daten gab er umgehend an die Notrufzentrale weiter. Auch Lauris Frau erfuhr endlich vom Schicksal ihres Mannes.
Der Ansturm der Suchmannschaften auf das frühlingskalte Meer begann. Lauri Lonkonens Leben lag jetzt in den Händen der Retter. Kalle Homanen beglückwünschte sich selbst zu seinem zügigen Handeln. Er fuhr
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