Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle
wahrscheinlich schon tot bin.«
Irma gab ihm die Hand und sagte, dass er nicht vom Tod reden solle. So mancher Mann werde heutzutage neunzig Jahre alt.
Der Alte reichte ihr seine knotige Hand, und sie hielt sie in der ihren. Auf das Gesicht des Kranken trat ein schwaches glückliches Lächeln. Es gab auf dieser Welt also doch noch einen guten Menschen, der ihm in die Augen sah und an seinem Sterbebett saß.
Irma sagte ihm, dass er noch einen guten und fast gesund wirkenden Händedruck habe.
»Meine Kraft ist verbraucht, aber seinerzeit war ich im Arbeitersportbund TUL Bezirksmeister im Dreisprung, und das ist gerade mal fünfzig Jahre her.«
Als das Gespräch in Gang gekommen war, redete der Kranke weiter und beklagte, was mit ihm geschehen würde. Wer würde ihn beerdigen? Seine Frau hatte sich scheiden lassen, und die Kinder waren über alle Berge.
»Bestimmt karrt man mich nächste Woche in die Leichenhalle, verbrennt mich im Krematorium und füllt die Asche in eine Blechbüchse.«
Irma gab dem Sterbenden einen Kuss auf die Stirn. Der Alte seufzte mit gespitzten Lippen, wie schön das gewesen sei. Es sei schon mindestens zehn Jahre her, seit er zuletzt einen Kuss bekommen habe, sagte er. Damals habe ihn im Polizeiarrest von Maunula ein tunesischer Homo geküsst.
»Ich werde ewig dankbar sein, dass ich am Ende meines Lebens noch einem Menschen nah sein darf.«
In seiner vierten Nacht im Krankenhaus schrak Lauri Lonkonen hoch. Sein Bettnachbar fantasierte, anscheinend ging es ernsthaft mit ihm zu Ende. Die Schwestern kamen mehrmals, gaben ihm eine beruhigende Spritze.
Lauri konnte nicht schlafen. Seine Gedanken kreisten um die neue Arbeit, die sein Freund Kalle Homanen ihm angeboten hatte. War das ein Job, in dem man die Welt verbessern konnte? Vielleicht sollte er eine neue Ideologie entwickeln, oder besser noch eine neue Religion? Die vorhandenen Religionen waren einfach zu altmodisch, auch der Gottesbegriff war irgendwie kindisch, ganz wie ein Märchen für Vorschulkinder, an das kaum jemand ernsthaft glauben konnte.
Am frühen Morgen starb der Bettnachbar. Als letzte Worte stöhnte er:
»Von der nächsten Rente muss ich mir ein Moped kaufen. Soliver ist das Beste.«
So schnell war der Mensch tot, ganz wie ein Insekt.
Nach einer Stunde kam die Nachtschwester mit einer neuen Beruhigungsspritze, aber der Patient war bereits ruhig. Sein Leichnam wurde auf eine Bahre gelegt und durch den leeren Korridor geschoben. Lauri begleitete seinen Kameraden auf diesem letzten Weg, aber als die Doppeltür der Leichenkammer erreicht war, sagte man ihm, dass seine Zeit noch nicht gekommen sei und dass er in sein Bett zurückkehren solle. Lauri drückte die Hand des Toten und dachte bei sich, dass auch er sich vielleicht ein Moped kaufen und Dreisprung betreiben sollte.
Und obwohl gerade sein Bettnachbar gestorben war, fühlte sich Lauri in der Form seines Lebens. Der Gedanke an eine neue Ideologie und Religion beflügelte ihn. So schnell wie möglich müssten er und Kalle sich gemeinsam ans Werk machen. Wenn alles gut ginge, würden sie im Zuge internationaler Patentverträge eine neue, die ganze Menschheit mobilisierende Religion entwickeln. Dieser Gedanke hatte göttlichen Glanz.
5
Kalle Homanen erschien im Krankenhaus von Jorvi, um Lauri Lonkonen abzuholen, der in guter Verfassung und voller Arbeitseifer war. Sowie Lauri sich zu Hause gewaschen und seinen im Meer ramponierten Anzug gegen einen neuen ausgetauscht hatte, fuhr er zu seiner neuen Arbeitsstelle, Kalles Kellerwerkstatt in Martinlaakso. Lauri setzte sich im kleineren Raum an den Computer. Der Keller war schmucklos und wirkte wegen des künstlichen Lichtes kalt und öde, aber Lauri gedachte auch nicht, sich lange dort aufzuhalten. Sein Job als Verfasser der Patentanträge und vor allem der anschließende Verkauf der Patente in alle Welt würde ihn häufig auf Reisen führen, er würde viel auf Achse sein. Das war ihm gerade recht. Nach den Erfahrungen in der Immobilienfirma hatte er genug davon, im Büro zu sitzen.
Kalle schlug vor, dass Lauri sich einen passenden Titel aussuchen sollte, der die Kunden beeindruckte. Nach kurzem Überlegen erklärte Lauri, dass er sich mit der alten und bewährten Bezeichnung Entwicklungschef begnügen wolle. Gewissermaßen hatte ja auch diese neue Arbeit mit Entwickeln zu tun, nämlich dem Entwickeln von Ideen bis hin zur Patentreife.
Lauri schätzte, dass er sich bis Mittsommer im Job eingearbeitet hätte. Kalle
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