Die Yoga-Kriegerin
jemals im Visier hatte. Aber ihre bevorzugte Zielscheibe war ich. Ich weiß nicht, warum. Viel leicht hatte es sie ausgelaugt, meine irren Füße und Beine in Ordnung zu bringen, und sie hatte die Nase voll von mir. Vielleicht war sie nur erschöpft und frustriert, Mutter von drei kleinen Kindern zu sein. Vielleicht war sie einfach nur verrückt. Ich wusste nur, dass ich, wann immer ich auch zu Hause war, Angst vor ihr hatte. Sie war die Tochter eines Schmieds und hatte eine wahnsinnige Schlagkraft.
Am Anfang flehte ich sie an aufzuhören, aber nach ein paar Jahren hörte ich auf zu protestieren, hörte sogar auf zu weinen. Ich weigerte mich, ihr die Genugtuung zu verschaffen, dass ich gebrochen war. Ich entdeckte auch eine Methode, wie ich mich vor ihren Wutaus brüchen schützen konnte. Jedes Mal, wenn meine Mutter einen Wut anfall bekam, lief ich zum Schrank in meinem Zimmer, zog mich auf ein hohes Regal hinauf und versteckte mich zitternd hinter Kleidung und Schachteln. Dort im Dunkeln schloss ich die Augen und … verschwand einfach. Ich hörte sie, wie sie in meinem Zimmer hin und her raste, meine Kleidung und Schuhe beiseitewarf, hinter Möbel guckte. Ich war nur etwa einen Meter von ihr entfernt, doch sie entdeckte nie mein Versteck. Ich fand irgendwie heraus, wie ich meine Lebenskraft ausschalten konnte, sodass sie mich nicht aufspüren konnte. Es funktionierte jedes Mal.
Die Schule bot genug Sicherheit – in der Klasse. Aber dorthin zu gelangen und wieder nach Hause war ein Albtraum. Ein kleinwüch siges, blasses, kränklich aussehendes Kind mit blau geschlagenen Augen und komisch aussehenden, klobigen Schuhen – es war klar, dass ich in der Schusslinie stand. Die Kinder kreisten mich ein und warfen mir seltsame Namen an den Kopf, wie »Judenhure mit Niggersocken«. (Ich hatte keine Ahnung, wo sie das herhatten oder was es bedeutete.) Die schlimmste Tyrannin war meine Nachbarin. Ich hätte ihr nicht aus dem Weg gehen können; wir wohnten in einer Sackgasse, und ich musste an ihrem Haus vorbeigehen, um zur Schule zu kommen. Eines Tages zerrte sie mich in den Hinterhof, hob ein Brett auf, das mit Nägeln beschlagen war, schwang es in Richtung meines Kopfes und lachte, während mich ihr knurrender Deutscher Schäferhund mit fletschenden Zähnen bedrohte.
Meine wachen Stunden verbrachte ich in Angst, aber auch der Schlaf war keine Erleichterung. Das war die Zeit, in der mich Haie und andere Schattenmonster verfolgten. Die Menschen sagen, dass man in seinen Träumen nicht sterben kann, doch ich starb Tausende Tode, von Haien und Dämonen in Stücke zerrissen, langsam von Steinen zermalmt, von Tsunamis überrollt und ertrunken. Immer wenn mich endlich der Schlaf übermannte, lag ich wie auf mein Bett genagelt da, wie gelähmt von den entsetzlichen Horrorerscheinun gen. Am nächsten Tag wachte ich mit Schmerzen auf, voller blauer Flecken, manchmal mit reißenden Schmerzen in meinen Eingeweiden und meinem Hintern. Der Schmerz kam so plötzlich, mit sol cher Heftigkeit, dass ich nach Luft schnappen musste. Manchmal zwang ich mich, tagelang wach zu bleiben, statt mich solch grausamen Träumen zu ergeben.
Aber ich war ein kreatives Kind, und als ich ungefähr vier Jahre alt war, fand ich eine Möglichkeit, wie ich mich vor dieser ständigen Angst betäuben konnte: mit der Plünderung des Likörschranks. Ich erinnere mich, wie ich auf meinen mickrigen Beinen dorthin ge langte. Ich schlich mich in die Küche und hockte mich neben den Schrank. Ich schraubte die Verschlüsse auf und stahl Schlucke aus den karamellbraunen Flaschen, die voll waren mit etwas, das ekelhaft süß war; dann gab es noch den hübschen smaragdgrünen Likör, die durchsichtigen Flaschen mit dem Zeug, das beim Hinunter schlucken nur so brannte, die eckigen Flaschen mit dem roten Wachssiegel und der süßen gelblichen Flüssigkeit. Es war nicht so, dass es mir wirklich schmeckte; ich mochte das merkwürdig brennende Gefühl auf meiner Zunge, das Gefühl, aus meinem Körper herauszuschweben. Ich mochte daran, dass es meine dreckige Realität sehr schnell veränderte. Die Angst war zwar noch da, aber sie war nicht mehr so stark.
Dann, ungefähr zwei Jahre später, fand ich endlich einen sicheren Zufluchtsort, ein Schlupfloch fernab von dem Grauen zu Hause und den Qualen der Tyrannen aus der Nachbarschaft: einen Pferdestall. Soweit ich mich erinnern kann, bin ich mit einem Draht zu Pferden gesegnet. Man hat mir erzählt, dass ich zu einer Parade
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