Me(e)hr Mann fürs Herz
1
Fredrika Bimm lief die Comm Ave. hinunter (Touristen und anderen rätselhaften Wesen auch als Commonwealth Avenue in Boston, Massachusetts, bekannt) und versuchte, nicht an den Prinzen vom Schwarzen Meer oder an den berühmten Schriftsteller Priscilla D’Jacqueline zu denken.
Das ganze letzte Jahr hatte sie kaum an die beiden gedacht.
Warum sollte sie auch? Schließlich hatte sie einen Beruf, der sie erfüllte. Oder besser gesagt, einen nervenaufreibenden Beruf. Eine eigene Wohnung, die sie allerdings nie mehr für sich allein hatte. Einen besten Freund, der schwer verliebt in seine neue Freundin war und also keine Zeit mehr für sie hatte.
Sie zerfloss in Selbstmitleid, und dabei war es noch nicht mal zwei Uhr nachmittags. Ein neuer Rekord!
Es war ein wunderschöner Herbstnachmittag – aber so laaangweilig! –, und in ihrer Wordsworth-Tüte lagen die beiden kürzlich erschienenen Romane von D’Jacqueline: Flammen der Leidenschaft und Der Lebemann und der Geschichtenerzähler. Das zählte nicht. Wenn sie seine Bücher kaufte, dachte sie gar nicht an Thomas Pearson, den Meeresbiologen, der ein Vermögen damit verdiente, dass er unter dem Pseudonym D’Jacqueline schrieb, sondern unterstützte bloß einen Kollegen.
Nichts weiter.
Einen Kollegen mit braunem Haar und hübschen rötlich goldenen Strähnen, breiten Schultern, langen Beinen und Grübchen. Einen Kollegen, der neben anderen illegalen Waffen auch ein Schnappmesser bei sich trug. Einen Kollegen, der gesagt hatte, er liebe sie, dann aber verschwunden war – nun schon seit elf Monaten und vierzehn Tagen.
„Hör auf damit“, rief sie laut und achtete nicht auf die erschrockenen Blicke der Passanten. „Er musste sein Forschungsstipendium beenden, und er kannte dich doch erst eine Woche, also Schluss damit. Was glotzt du so?“, sagte sie böse – und das Kindergartenkind suchte hinter den Beinen seiner Mutter schnell Deckung.
Nein, Thomas war fort. Schluss, aus. Ebenso wie Artur übrigens. Das war der andere Mann, an den sie auf keinen Fall denken wollte. Ein reinrassiger Angehöriger des Unterseevolkes -mit anderen Worten ein Wassermann. Kein Halb-und-Halber, also kein Mischling wie sie selbst.
Ein Prinz sogar, der älteste Sohn des Großkönigs vom Schwarzen Meer. Ein Prinz mit rubinfarbenem Haar und Augen wie Hustenbonbons mit Kirschgeschmack. Ein Prinz mit großen Händen, die er nie so richtig bei sich behalten konnte. Und einem roten Bart, der kitzelte, wenn er Dinge tat, an die sie jetzt nicht denken wollte.
Sie blieb vor dem Backsteingebäude stehen, in dem sich ihre Wohnung befand, rannte die Stufen hinauf, rammte den Schlüssel ins Schloss und stürzte in den Hausflur. Zu aufgeregt, um auf den Aufzug zu warten, ging sie die drei Stockwerke zu ihrer Wohnung zu Fuß und hätte am liebsten die Tür eingetreten, statt wieder mit dem Schlüssel zu hantieren.
Sie schloss die Tür mit dem Fuß und knurrte dabei: „Was macht ihr beiden denn hier?“
„Wir warten auf dich“, flötete ihr bester Freund, Jonas Carrey. Er war groß (ein paar Zentimeter größer als sie) und blond. Außerdem war er im Besitz von mehreren schwarzen Gürteln und hatte eine Vorliebe für Appletinis. Oh, und für ihre Chefin, Dr. Barb, die gerade auf seinem Schoß saß.
„Dr. Barb“, seufzte Fred und warf ihre Büchertüte auf den nächsten Tisch.
„Dr. Bimm.“ Ihre Chefin legte großen Wert darauf, unter allen Umständen die Titel zu nennen, auch wenn Jonas gerade versuchte, ihren BH zu öffnen.
„Dr. Barb, Sie sind nun schon ein Jahr mit meinem Freund zusammen. Finden Sie nicht, es wäre da mal an der Zeit, dass Sie mich Fred nennen?“
„Nein, Dr. Bimm.“
Fred seufzte noch einmal. Eigentlich mochte sie ihre Chefin ganz gern, aber seitdem sich diese mit ihrem besten Freund … verlustierte, wurde der Umgang mit beiden immer schwieriger.
Zum einen waren sie noch in der Phase, in der alles, was der andere tat, mit Entzückensschreien kommentiert wurde. Jonas konnte einen Wurm in seinem Haferbrei finden, und Dr. Barb würde es bezaubernd finden.
Zum anderen waren sie der Meinung, dass Freds Probleme allesamt gelöst wären, wenn sie mal einen Partner fände. Demzufolge …
„Sam wird jeden Augenblick hier sein“, sagte Jonas in einem Ton zu ihr, als wenn sie es vergessen hätte. „Willst du etwa, ähem … das da tragen?“
„Ja.“ Beinahe wäre sie laut geworden. Nicht zum ersten Mal wünschte sie, sie hätte Jonas nicht die
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