Die Zahlen Der Toten
ein, dass die Fensterscheibe kaputt ist. Ich drehe den Kopf und sehe entsetzt, dass Detrick in der Tür steht. Irgendwann muss er seine Jacke ausgezogen haben, denn er trägt ein Jeanshemd über einem Rollkragenpullover und gut sitzende Hosen.
»Du hast mir die Nase gebrochen«, sagt er.
Ich bemerke das Blut auf seinem Rollkragenpullover. »Und wie wollen Sie das erklären?«
»Leute fallen nun mal auf eisglatten Fußwegen.« Er mustert mich von Kopf bis Fuß. Sein Lächeln lässt mich schaudern. »Du zitterst ja. Ist dir kalt?« Ich sage nichts. »Du hättest das Fenster nicht kaputt machen sollen. Mit dem Ofen wär’s jetzt schön kuschelig hier drin.«
Die Hoffnungslosigkeit meiner Lage ist wie ein dunkles Loch, in das ich langsam hineingezogen werde. Dieser Mann wird mich töten. Nur der Zeitpunkt ist noch offen. Und die Methode. Die Zeit ist auf meiner Seite, aber die Uhr tickt.
»Wirst du dich auch gut benehmen, wenn ich die Fessel an deinen Füßen durchschneide?«
»Wahrscheinlich nicht.«
Er lacht. »Diesmal tue ich dir richtig weh, wenn du wieder was Dummes versuchst, hast du verstanden?«
Er sieht mich an wie ein ausgehungerter Hund ein Stück Fleisch, das er gleich verschlingen wird. Er wird mich vergewaltigen, ich sehe es in seinen Augen. Die Vorstellung stößt mich ab, doch ich rufe mir ins Gedächtnis, dass ich so was schon einmal überlebt habe. Das schaffe ich noch mal. Ich will leben. Dieser unzerstörbare Wille erfüllt mich mit jedem Schnellfeuerschlag meines Herzens.
Er kommt auf mich zu, den Elektroschocker in der Hand. »Lassen Sie das Ding weg«, sage ich.
»Du kooperierst also?«
Bis ich die Chance habe, dich zu töten.
»Ich mache, was Sie wollen.«
Er hockt sich neben mich. Im Schein des Heizofens funkelt das Messer wie Quecksilber. Das Stoffband um meine Füße fällt ab. Ich spüre seinen Blick auf mir, kann mich aber nicht überwinden, ihm in die Augen zu sehen. Weil er dann meine Angst sieht. Ich weiß, dass er sich daran labt.
Mein Herz rast, als er anfängt, mir den linken Stiefel aufzuschnüren. Ich starre auf seine Finger, die manikürten Nägel, die vollkommen ruhigen Hände. Er wirkt so normal, dass ich mir fast einreden kann, es sei alles nur ein Traum.
Doch der Mann, der meine Stiefel aufbindet, verspürt nichts anderes als den nagenden Zwang, seinen dunklen Hunger zu stillen. Heute Nacht bin ich es, auf die sich sein Hunger konzentriert – der kurz davor ist, außer Kontrolle zu geraten.
· · ·
Die Uhr im Armaturenbrett zeigte drei Uhr dreißig an, als John den Tahoe vor dem Polizeirevier in Painters Mill parkte. Schneeflocken begleiteten ihn beim Betreten des Gebäudes. Mona saß in der Zentrale, einen Lutscher im Mund und die Füße neben dem Computerbildschirm. Aus dem Radio auf dem Schreibtisch trällerte ein Song der Red Hot Chili Peppers. Als sie John erblickte, landeten ihre Füße blitzschnell auf dem Boden und sie sprang auf.
»Ich dachte, Sie wären abgereist.«
»Bin zurückgekommen. Haben Sie Chief Burkholder gesehen?«, fragte er, schon halb auf dem Weg in Kates Büro.
»Nicht seit Detrick sie fast verhaftet hat.«
»Irgendeine Idee, wo sie sein könnte?«
»Ich dachte, sie ist zu Hause.«
»Wann ist sie hier weggegangen?«
»Vor ein paar Stunden, glaube ich.«
»Wo ist Detrick?«
»Wohl auch zu Hause, nehme ich an.« Ihre Augenbrauen verbanden sich zu einem Strich. »Ist was passiert?«
Die Tür ging auf und Glock stürmte herein, das Gesicht so düster, wie John es noch nie bei ihm gesehen hatte. Mona zog den Lutscher aus dem Mund. »Sagt mir mal einer, was hier vorgeht?«
Ohne sie zu beachten, wandte John sich an Glock. »Haben Sie Detrick erreicht?«
»Ich hab ihn auf dem Handy angerufen, aber er hat nicht abgenommen.«
»Versuchen Sie’s zu Hause.«
Er erwartete, dass der ehemalige Marine Bedenken äußern würde, den Sheriff morgens um drei Uhr dreißig anzurufen, doch Glock holte wortlos sein Handy vor und drückte zwei Tasten. »Lora? Hallo, hier ist Rupert Maddox.« Beim Sprechen sah er John an. »Ja, alles in Ordnung. Wäre es möglich, kurz mit Nathan zu sprechen?« Glocks Augenbrauen schossen in die Höhe. »Er ist nicht da? Wirklich? Wissen Sie, wo er ist?« Er nickte. »Nun, das nenne ich wahre Hingabe an den Beruf. Ich rufe ihn über Funk an. Tut mir leid, dass ich Sie gestört habe.«
Sein düsterer Gesichtsausdruck entsetzte John genauso sehr wie seine Worte: »Die Haushälterin sagt, er ist auf
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