Die Zan-Spieler
verursachen konnte. Für sie konnte es nur eines geben, das wußte sie genau: Ich werde meinen Schwüren treubleiben! Jetzt!
Ohne zu zögern versenkte sie sich tief in ihren Geist, bis hin zum Grundstein ihres Seins, zu ihrer Klanh -Rolle, dem Angelpunkt all dessen, was sie wußte, was sie erlebt hatte. Sie spannte sich an, während sie sich so versenkte und die Stelle suchte, an der der Auflösungsprozeß beginnen sollte. Inmitten der Gesamtheit des Gedächtnisknäuels fand sie etwas, da war ein Knoten, eine Verknüpfung, sie zog daran und fühlte, wie sie sich lockerte, und sie hakte sie auf. Da war ein scharfer, stechender Schmerz, ein Stachel aus höchster Energie, unerträglich, vorüber, bevor er richtig begonnen hatte. Sie vergaß sofort, daß es weh getan hatte. Wie betäubt – und nun ohne zu wissen, warum – tastete sie noch einmal nach der speziellen Erinnerung, die sie an die Zeit ihrer Initiation gehabt hatte. Initiation in was? Sie konnte sich nicht erinnern. Es war weg. Es waren nur noch seltsame kleine Teile übrig, und diese verblaßten. Im Zentrum ihres Geistes war eine sich ausdehnende Leere aus Unwissen; fast wie das, was man ein Spiel mit verkehrten Bildern nannte, in dem man die Abwesenden und nicht die Anwesenden darstellte. Eine sich ausdehnende Leere. Schon mußte sie, beinahe neugierig, fragen: Was für ein Spiel? Was war das für ein Spiel gewesen? Es war einst wichtig für sie. Ein Rätsel, und irgend etwas Entscheidendes fehlte, nämlich der Stein, der dieses merkwürdige Versagen des Gedächtnisses erklären konnte. Was war es gewesen? Sie hörte auf, sich zu erinnern zu versuchen und begann mit Hilfe der Logik an das Problem heranzugehen, ging von außen daran heran, um dann ins Zentrum vorzudringen und so wiederzuerlangen, was es hatte sein sollen. Sie konnte das, aber während sie es versuchte, stellte sie fest, daß der Tilgungsvorgang schneller fortzuschreiten schien, als sie nachzufüllen imstande war; er zerfraß ihr Gedächtnis schneller, als sie es, auch unter Aufbieten aller Kräfte, wieder auffüllen konnte. Nutzlos, dagegen anzukämpfen – hoffnungslos. Ihr Bewußtsein war wie eine vom Zentrum her gefüllte Kugel gewesen, die sich immer nach außen hin ausgedehnt hatte, in die Leere der Unwissenheit und des Nichtwissens hinein, und die alles geordnet hatte. Aber sie spürte jetzt, daß sie sich von jedem andern auf der Welt unterschied: Sie fühlte eine Leere auch innerhalb der Kugel. Und die Leere im Inneren wuchs, zwang ihr Bewußtsein erst in einen hohlen Ball, dann in die Form eines Rings. Jetzt ist es durch nichts mehr aufzuhalten, dachte sie: Ich weiß zwar, was es aufhalten könnte, aber ich weiß nicht mehr, wie ich es anstellen soll. Nach einer Weile fügte sie gequält hinzu: Und ich kann es, zum Teufel noch mal, auch gar nicht aufhalten.
Sie hatte keine Ahnung, wie lange es dauerte, bis ihr Geist durch den Vorgang ausgelöscht sein würde. Niemand wußte das. Oder wenn es jemand wußte, so redete er jedenfalls nicht darüber. Gedächtnislose erinnerten sich nicht daran, daß sie vergessen hatten. Sie fühlte eine innere Anspannung und wußte nicht, wieso. Nun wurde sie lockerer und ließ den Vorgang über ihr Bewußtsein spielen wie das Sommersonnenlicht über den nackten Körper, etwas, was es vor langer Zeit gegeben hatte. Jetzt werde ich mich an alles Erdenkliche erinnern; an all die angenehmen Augenblicke meines Lebens. Sie überflog rasch das, was ihr von ihren Erinnerungen noch geblieben war; vermerkte, was da war, das Gute und das Schlechte, das Angenehme und das Unangenehme. Es war von beidem vieles dabei; sie hatte ihre Glanzstunden gehabt, aber sie hatte auch bittere Enttäuschungen erlebt, grausame Rückschläge, die nicht ihre Schuld gewesen waren, sondern Teil des Lebens, der Umstände. Aber kein Zufall. Sie machte sich daran, sich eine Kollektion zurechtzulegen: Nenne vierzehn {6} der wunderbarsten Dinge, die dir widerfahren sind. Das war leicht. Dann begann sie kraft ihres totalen Gedächtnisses eins nach dem anderen wieder durchzuleben, wiederzusehen, wiederzuerkennen, wiederzuentdecken. Darunter spürte sie jedoch etwas, was vorher nicht dort gewesen war: eine wachsende, düstere Leere, die Teil von ihr und doch auch wieder nicht Teil von ihr war. Sie konnte sich jetzt nicht mehr erinnern, wieso sie in diesem merkwürdigen Zustand war. Sie würde mit jemandem darüber sprechen müssen.
Die frühen Morgenstunden waren schöner. Sie hatte den
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