Die Zauberer 01 - Die Zauberer
Geräusche des Urwalds, so als hielte die Natur den Atem an und harrte bang der Ereignisse, die über die Welt hereinbrechen würden. Gebannt beobachteten die Vermummten, wie sich die Blutbahnen weiter über die lebensgroßen Figuren ausbreiteten, wie sie den Brustkorb überzogen und die muskulösen geschuppten Arme und sich dabei immer weiter verästelten, wie sie die Klauen bedeckten und den peitschenähnlichen Schweif und wie sie sich schließlich am Hals emporwanden und den kahlen Schädel mit dem zähnestarrenden Maul umhüllten.
Ein heftiger Windstoß ließ die Flammen der Fackeln fauchen und die Blätter der Bäume rascheln, und schlagartig verschwanden die blutigen Linien, die die Standbilder wie Spinnennetze überzogen hatten - geradeso, als hätte sie etwas mit unfassbarer Gier ins Innere der steinernen Figuren gesogen. Fast im selben Augenblick ging mit den Statuen eine dramatische Veränderung vor sich.
Sie öffneten die Augen.
Wo zuvor noch kalter, grauer Stein gewesen war, loderte auf einmal orangerote Glut, und dann schüttelte der erste der steinernen Krieger die Reglosigkeit ab, die ihn über Jahrtausende hinweg gebannt hatte, und stieg von seinem Sockel.
Das schmutzige Grau des alten Gesteins war zu giftigem Grün geworden, das von schwarzen Linien und Zacken durchzogen war. Die Kreatur legte den Kopf in den Nacken und stieß ein kehliges Zischen aus, wobei ihre gespaltene Zunge vor- und zurückglitt. Dann erst bemerkte sie offenbar die Vermummten auf der Lichtung, und auf einmal zögerte sie.
Sie begriff, dass etwas nicht stimmte, aber sie konnte nicht wissen, wie viel Zeit vergangen war, seit sie das letzte Mal Angst und Schrecken in dieser Welt verbreitet hatte. Ein ganzes Zeitalter war seither verstrichen.
Doch in dieser mondlosen Nacht, zu jener düsteren Stunde, kehrten die Krieger des Bösen zurück: Einer nach dem anderen erwachte zum Leben und verließ seinen Sockel, auf dem er die letzten Jahrtausende geruht hatte. Unzählige Winter waren gekommen und gegangen - der Blutdurst der Kreaturen jedoch war ungebrochen, und so rissen sie ihre Mäuler auf und entblößten ihre langen spitzen Zähne, während sie sich bedrohlich auf die Vermummten zu bewegten, ungeachtet der Tatsache, dass sie ihnen ihre Befreiung zu verdanken hatten.
Die Schatten scharten sich um ihren Meister, während sich ihnen die Kreaturen immer mehr näherten. Ihre Augen leuchteten in der Dunkelheit, ihr Atem zischte voller Bosheit und Wut.
Schon streckten sie ihre Klauen aus, um die Vermummten zu packen - aber es kam nicht dazu.
Denn der Meister hob die noch blutige Klinge in den wolkenverhangenen Himmel und sprach mit lauter Stimme jene Worte, die einst verboten worden waren und dennoch die Jahrtausende überdauert hatten. Sie retteten ihm und seinen Anhängern nicht nur das Leben, sondern machten die
furchterregenden Krieger aus dunkler Vergangenheit auch zu ihren ergebenen Dienern.
Gaida ai'lafanor'ma rhula rhyfal'raita'y'taith - Kraft dieser Klinge gebiete ich den Kriegern der Dunkelheit!
Schlagartig verharrten die Kreaturen, blickten mit einer Mischung aus Unglauben und hilfloser Wut zu dem Dolch empor, der mit jenem Blut benetzt war, das in ihren Adern floss - und der dunkle Zauber, dem sie unterlagen und der sie allen Regeln der Natur zum Trotz zu denkenden, auf zwei Beinen wandelnden Wesen gemacht hatte, ließ ihnen keine Wahl, als zu gehorchen. Die Glut in ihren Augen verlosch, und eines nach dem anderen sank auf die Knie, beugte das kahle schuppige Haupt vor seinem neuen Herrscher und erneuerte zischelnd den Eid, den sie bereits einmal geschworen hatten, vor undenklich langer Zeit.
Einem anderen Herrscher ...
2. YMADAWAITH
Aldur mochte den frühen Morgen; wenn die Dämmerung die Nacht vertrieb und die Sonne über den Horizont stieg, um mit ihrem goldenen Licht das Land zu bestreichen. Morgentau lag auf den Wiesen und verdampfte zu Nebel, und mit dem neuen Tag schien auch neues Leben zu erwachen, so als würde eine Welt geboren.
Aldur stellte sich dann vor, dass die leuchtende Scheibe, die sich immer weiter über diese Welt erhob und deren Strahlen sein Gesicht streichelten und seine Glieder wärmten, calada wäre, der Ursprung allen Lichts. Wen der Urschein erleuchtete, so hieß es, der war gesegnet, dazu ausersehen, große Taten zu vollbringen, und nahm eine bedeutende Rolle in der Geschichte des Elfenvolkes ein. Aldur hatte diese Vorstellung stets gefallen. Sie war sein geheimer Traum gewesen,
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