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Die Zehnte Gabe: Roman

Titel: Die Zehnte Gabe: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson , Pociao
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einer schwarzen Plastiktüte auf dem Couchtisch nahm er ein in Packpapier eingewickeltes Päckchen und reichte es Bywater. Der wickelte es behutsam aus und fand ein kleines, in blasses Kalbsleder gebundenes Buch, auf dessen Rücken noch Spuren der ehemaligen Goldprägung zu sehen waren. Anerkennend murmelnd drehte er es hin und her und untersuchte auch die Rückseite, die rauen Papierkanten und die Bindung.
    »Sehr schön. Sechzehntes, vielleicht auch siebzehntes Jahrhundert.« Er schlug es mit unendlicher Vorsicht auf und studierte das Titelblatt. »Sechzehnhundertvierundzwanzig. Beachtlich. Der Stolz der Stickerin . Hab natürlich davon gehört, aber noch nie ein Exemplar in der Hand gehabt. Sehr hübsch. Ein bisschen stockfleckig und mit leichten Gebrauchsspuren,
aber insgesamt in sehr gutem Zustand.« Grinsend blickte er zu Michael auf. Seine Zähne waren gelb wie die einer Ratte. »Müsste einiges wert sein. Mindestens einen Riesen. Wo, sagtest du, hast du es her?«
    Michael hatte gar nichts gesagt. »Oh, von einem Freund. Ich verkaufe es für einen Freund.« Das war nicht ganz die Wahrheit, doch auch nicht ganz falsch. »Schau mal rein, sieh es dir genau an«, drängte er ungeduldig. »Es ist viel ungewöhnlicher, als man auf den ersten Blick glaubt.«
    Er sah eifrig zu, wie der Buchhändler auf die Seiten blies und sie behutsam voneinander löste, wobei er das Gesicht verzog. »Tja, es ist alles da«, sagte er schließlich. »Die Muster, die Entwürfe, alles.«
    Michael wirkte enttäuscht. »Ist das alles, was du dazu sagen kannst? Na hör mal, mein Lieber, das ist einmalig, das ist ein … ein Palimpsest! Siehst du nicht den geheimen Text an den Rändern und zwischen den Mustern? Er ist nicht leicht zu erkennen, das gebe ich zu, aber du kannst ihn doch nicht übersehen haben!«
    Bywater runzelte die Stirn und wandte sich wieder dem Buch zu. Schließlich klappte er es zu und sah seinen Freund merkwürdig an. »Nun, von einem Palimpsest kann hier sicher keine Rede sein, mein Freund. Es handelt sich um Papier, nicht Pergament. Es finden sich keine Anzeichen von Kratzern, keine scriptio inferior , nichts, was ich erkennen kann. Marginalien - tja, aber das ist ganz was anderes, wie du wissen müsstest. Marginalien in der Handschrift des Autors, nun ja, die würden seinen Wert steigern, wahrscheinlich sogar verdoppeln.«
    »Es ist nicht die Handschrift des Autors, du Idiot! Es ist die eines Mädchens. Es ist ein einmaliges historisches Dokument und damit vermutlich unbezahlbar! Du brauchst eine Brille …«
    Grob riss Michael dem Buchhändler das Büchlein aus der Hand, schlug es aufs Geratewohl auf und blätterte hastig vor
und zurück, als könnte er die Schrift, die er erst gestern noch gesehen hatte, auf magische Weise zurückholen.
    Einen Augenblick später legte er es wie vom Donner gerührt wieder hin.
    Dann rannte er zum Telefon.

DREI
    I ch kannte Anna, Michaels Frau, von der Uni. Dort waren wir die »Tres Amigas« gewesen, Anna, meine Cousine Alison und ich, so unterschiedlich, wie man sich nur vorstellen kann. Anna war zierlich und puppenhaft, Alison und ich dagegen kamen aus einer kräftigen kornischen Familie, die uns mit gesunden Milchprodukten und Pasteten durchgebracht hatte. Wenn ich mein blondes Haar offen trug, konnte ich darauf sitzen, Annas war schwarz und kurz, sie sah aus wie ein Model. Alisons schulterlanges Haar war kastanienbraun, dann rot, dann schwarz, dann violett und wieder braun, je nachdem, ob sie gerade Englisch oder Drama unterrichtete. Zusammen bildeten wir eine perfekte symbiotische Einheit, um die Prüfungen des Studentenlebens und unsere ersten Jobs nach dem Examen durchzustehen - Anna in einem Buchladen, Alison als Lehrerin und ich in einer endlosen Reihe von Cafés und Bars.
    Alison und ich stellten alles Mögliche an, nahmen Drogen, tranken, bumsten und amüsierten uns, Anna dagegen verpasste ihrem Leben eine Form. Sie spann die Fäden ihrer Erfahrung zu einem sinnvollen Ganzen. Ihre harte Arbeit trug Früchte. Eines Tages war sie Herausgeberin einer erfolgreichen Modezeitschrift und verdiente ein kleines Vermögen, obwohl sie, Ironie der Geschichte, die Einzige von uns war, die niemals wirklich Geld gebraucht hatte. Ihre Familie war stinkreich, soweit ich wusste, obwohl sie sich ziemlich bedeckt hielt, was ihren Hintergrund betraf. Und auch wenn Alison und ich wieder mal in einer unserer lautstark verkündeten, nicht gerade seltenen Geldnöte steckten, blieb sie eher

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