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Die Zeitfalte

Die Zeitfalte

Titel: Die Zeitfalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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sagte Charles Wallace. »Sollte ich Ihnen diese Illusion rauben? – Wie alt bist du, Cal?«
    »Vierzehn.«
    »In welche Klasse gehst du?«
    »In die zehnte. Ich habe eine übersprungen, weil ich so begabt bin. – Sagt einmal, seid ihr auch hier, weil euch jemand dazu aufgefordert hat?«
    Charles Wallace packte Fortinbras am Halsband und warf Calvin einen argwöhnischen Blick zu. »Was meinst du mit – aufgefordert?«
    Calvin zuckte mit den Schultern. »Du traust mir noch immer nicht über den Weg, was?«
    »Ich traue dir vielleicht noch nicht ganz«, sagte Charles Wallace vorsichtig.
    »Reicht es immerhin so weit, daß du mir jetzt sagst, was ihr hier zu suchen habt?«
    »Fort, Meg und ich wollten einen Spaziergang machen. Wir gehen am Nachmittag oft spazieren.«
    Calvin stopfte die Hände in die Hosentaschen. »Du sagst bloß die halbe Wahrheit.«
    »Du ja auch«, erwiderte Charles Wallace.
    »Na, schön«, sagte Calvin. »Dann spucke ich es aus. Ich habe manchmal so ein gewisses Kribbeln im Hirn. Man könnte es eine Vorahnung nennen. Oder noch besser: eine Obsession. Weißt du, was eine Obsession ist?«
    »›Obsession: Zwanghafte Selbstverpflichtung‹. Keine besonders gute Definition; aber so steht es im Lexikon.«
    »Schon gut.« Calvin seufzte. »Du mußt verzeihen. Ich bin noch immer durch mein Ressentiment über deine mentale Beschaffenheit präkonditioniert. Anders gesagt: Ich muß mich erst daran gewöhnen, daß du kein Rindvieh bist.«
    Meg setzte sich am Wegrand in das hohe Gras. Fort entwand sich geschickt aus dem Griff von Charles Wallace, trottete zu Meg hinüber und legte sich neben sie, den Kopf in ihrem Schoß.
    Calvin war jetzt auffällig höflich bemüht, sich sowohl an Meg als auch an Charles Wallace zu wenden. »Wenn ich dieses Kribbeln bekomme, diese Obsession, dann gebe ich dem Zwang immer nach. Ich weiß nicht, woher er kommt, und wieso er mich packt – es geschieht auch nicht häufig —, aber ich gehorche dann eben einer … einer inneren Stimme. Und heute nachmittag hatte ich plötzlich das komische Gefühl, ich müsse zum Spukhaus gehen. Und da bin ich jetzt. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Ehrenwort. Vielleicht war es mir vorbestimmt, euch hier zu treffen. – So, und jetzt bist du an der Reihe!«
    Charles Wallace blickte Calvin prüfend an; in seinen Augen war plötzlich ein fast glasiger Glanz; es schien, als wolle er mit seinen Gedanken tief in Calvins Innere vordringen.
    Calvin stand ganz still da und wartete.
    Endlich sagte Charles Wallace: »Gut. Ich glaube dir. Trotzdem werde ich dir nichts verraten. Ich spüre aber immerhin, daß ich dir ganz gern trauen würde. Vielleicht lassen wir es fürs erste damit bewenden, daß du mitkommst und mit uns zu Abend ißt.«
    »An sich gern«, erwiderte Calvin. »Aber was wird eure Mutter dazu sagen?«
    »Sie wird sich freuen. Mutter ist in Ordnung. Sie ist nicht – hm, eine von uns, aber sie ist in Ordnung.«
    »Und Meg?«
    »Schwer zu sagen«, überlegte Charles Wallace. »Sie hat es nicht leicht. Sie gehört nicht ganz hierher, und nicht ganz dorthin.«
    »Was redest du da?« rief Meg ungehalten. »Warum ist Mutter nicht eine von uns? Und: wohin soll ich nicht gehören?«
    »Nicht jetzt, Meg«, winkte Charles Wallace ab. »Alles zu seiner Zeit. Ich erkläre dir das später.« Er blickte Calvin von der Seite her an und faßte dann einen raschen Entschluß. »In Ordnung. Wir nehmen ihn zu Frau Wasdenn mit. Wenn mit ihm etwas nicht stimmen sollte, merkt sie das eher als ich.«
    Er winkte ihnen zu und trabte los.
    Das alte Haus lag halb im Schatten der Ulmen, in deren Schutz es stand. Die Ulmen waren um diese Jahreszeit fast ganz kahl, und das feuchte Laub bedeckte knöchelhoch den Boden rings um das Haus. Das Licht hatte jetzt, am späten Nachmittag, einen beinahe grünlichen Schimmer, der sich in den blinden Scheiben unheildrohend spiegelte. Ein loser Fensterladen schlug dumpf gegen die Wand. Etwas knarrte. Meg konnte durchaus verstehen, daß die Leute behaupteten, in dem Haus spuke es.
    Die Eingangstür war mit einem Brett vernagelt. Charles Wallace ging ums Haus herum. Auch der Hintereingang schien verrammelt, aber als Charles klopfte, schwang die Tür langsam auf und quietschte schaurig in den rostigen Angeln. Im Wipfel einer Ulme begann eine alte schwarze Krähe zu krächzen, und ein Specht antwortete mit seinem drohenden »Rat-tat-tat!« Eine riesige graue Ratte huschte aus einer Ritze, und Meg stieß einen leisen Schrei aus.
    »Es

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