Die Zeitfalte
macht ihnen einen Riesenspaß, ihre üblichen Tricks anzubringen!« flüsterte Charles Wallace beruhigend. »Kommt nur! Mir nach!«
Calvin packte Meg mit seiner knochigen Hand fest am Ellbogen; Fort schmiegte sich eng an ihr Bein. Sie empfand ganz stark, daß sich die beiden ihrer annahmen. Das Glücksgefühl war so intensiv, daß ihre Angst wich, und furchtlos folgte Meg Charles Wallace ins Haus.
Sie betraten einen Raum, der offenbar als Küche diente. Über der offenen Feuerstelle hing ein großer schwarzer Kessel. Im Kessel brodelte es; das Zeug roch jedoch eher wie eine von Mutters chemischen Mischungen und duftete nicht gerade nach etwas Eßbarem.
Ein kleines dickes Weib hockte in einem alten Schaukelstuhl. Das war nicht Frau Wasdenn; also, schloß Meg, mußte es eine ihrer Freundinnen sein. Die Frau hatte auf der Nase eine viel zu große Brille; sie war mindestens doppelt so groß und doppelt so stark wie jene, die Meg trug. Ohne aufzublicken, nähte die Alte mit flinken Stichen an dem Bettuch weiter, das sie auf dem Schoß liegen hatte. Andere Tücher lagen auf dem staubigen Boden.
Charles Wallace ging zu ihr hin.
»Wie kommen Sie dazu, ohne mich zu fragen, Frau Buncombes Bettücher zu entwenden?« herrschte er sie an. So unverfroren konnte wirklich nur ein ganz kleiner Junge mit einem Erwachsenen reden. »Wozu, zum Teufel, sollen sie gut sein?«
Die kleine dicke Frau strahlte ihn an. »Aber Charlsie, mein Süßer!« schnurrte sie. »›Le coeur a ses raisons que la raison ne connaît point.‹ Französisch. Pascal. ›Das Herz kennt Gründe, die der Vernunft verschlossen bleiben.‹«
»Völlig unpassend!« widersprach Charles.
»Deine Mutter wäre da bestimmt anderer Meinung.« Die Eulenaugen hinter den dicken Brillengläsern schienen ihm zuzublinzeln.
»Hier geht es nicht darum, was meine Mutter für meinen Vater fühlt, sondern um Frau Buncombes Bettücher.«
Die kleine Frau seufzte. Wieder fing sich das Licht in der riesigen Brille. Jetzt sah die Alte wirklich wie eine Eule aus. »Das ist doch nur eine Vorsichtsmaßnahme!« sagte sie. »Falls wir uns als Gespenster verkleiden müssen. Das hättest du aber selbst erraten können! Die gute Wasdenn meinte, falls wir fremde Leute verscheuchen müssen, sollten wir das gleich auf passende Weise tun. Das sind die kleinen Annehmlichkeiten, wenn man sich in einem Spukhaus einnistet. Und dabei hätten wir dir den kleinen Spaß so gern verheimlicht! Jetzt hast du uns also doch auf frischer Tat ertappt. ›In flagrante delicto.‹ Latein. ›Caught in the act.‹ Englisch. Aber, was ich sagen wollte … «
Charles Wallace brachte sie mit einer gebieterischen Gebärde zum Schweigen. »Kennen Sie diesen Jungen?«
Calvin verbeugte sich vor ihr. »Guten Tag, Frau … Ich habe Ihren Namen nicht verstanden.«
»Eine Frage, die das … «, begann Charles Wallace, aber die Alte fiel ihm ins Wort.
»Diedas? Also, meinetwegen könnt ihr Diedas zu mir sagen, Kinder. Also, ich weiß nicht, Charles, ob das eine besonders gute Idee war, aber bitte; ein Name ist so gut wie der andere. Und so schlecht klingt er auch wieder nicht.«
»Wo ist Frau Wasdenn?« fragte Charles.
»Sie hat alle Hände voll zu tun. Die Zeit naht, Charlsie, die Zeit naht! ›Ab honesto viium bonum nihil detenet.‹ Latein. Seneca. ›Nichts hindert den Braven daran, das Ehrenhafte zu tun.‹ So ungefähr. – Und er ist zwar ein sehr braver Mann, Charlsie, mein Liebling, aber jetzt braucht er unsere Hilfe.«
»Wer?« fragte Meg, völlig verwirrt.
»Ach, da haben wir ja die kleine Megsie! Ich freue mich, dich kennenzulernen, mein Schatz. Die Rede ist natürlich von deinem Vater. Aber Kinder, jetzt müßt ihr wieder gehen! Noch ist die Zeit nicht reif. Keine Sorge, wir brechen nicht ohne euch auf. Seht zu, daß ihr tüchtig eßt und ausreichend Schlaf findet. Den kleinen Calvin müßt ihr mir noch ein wenig aufpäppeln. – Und jetzt: Fort mit euch! ›Justitiae soioi fides.‹ Wieder Latein, was sonst? ›Die Treue ist die Schwester der Gerechtigkeit.‹ Mit anderen Worten: Ihr könnt uns blind vertrauen. – Also, wird‘s bald? Husch, husch! Verschwindet!«
Wie ein Vogel flatterte sie von ihrem Schaukelstuhl hoch und drängte die ganze Gesellschaft mit erstaunlicher Kraft zur Tür hinaus.
»Charles!« rief Meg verwirrt. »Verstehst du das?«
Charles nahm seine Schwester an der Hand und zerrte sie vom Haus weg. Fortinbras war schon vorausgelaufen, und Calvin hielt sich ihnen dicht an den
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