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Die Zeitfalte

Die Zeitfalte

Titel: Die Zeitfalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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duftenden Tinktur eingerieben.
    Meg seufzte und streckte sich wohlig. Sie konnte sich wieder strecken, wieder bewegen! Sie war nicht mehr gelähmt, und ihr ganzer Körper badete in Wellen wohltuender Wärme. Nicht ihr Vater, sondern die Tiere hatten sie gerettet.
    »Bist du also wieder wach!« sagte eine freundliche Stimme. »Was für ein spaßiges kleines Ding du bist! Sind die Schmerzen schon weg?«
    »Ganz weg.«
    »Und dir ist warm, und du fühlst dich wohl?«
    »Ja, es geht mir gut.« Sie versuchte sich aufzusetzen.
    »Nein, bleib liegen, kleines Ding! Du darfst dich noch nicht anstrengen. Gleich bringen wir dir einen Pelz, und dann wirst du gefüttert. Du darfst noch nicht einmal selbst essen. Du mußt ganz so tun, als wärest du eben erst geboren. Das Schwarze Ding gibt seine Opfer nur ungern wieder frei.«
    »Wo sind Vater und Calvin? Sind sie zurückgekehrt, um Charles Wallace zu holen?«
    »Sie essen und ruhen sich aus«, sagte das Tier. »Wir sind dabei, einander besser kennenzulernen und herauszufinden, wie wir euch am besten nützen können. Wir fühlen jetzt, daß uns von euch keine Gefahr droht; also dürfen wir euch helfen.«
    Meg blickte sich um, sah aber nichts als Schatten. Dennoch hatte sie das Gefühl von Weite, vielleicht, weil auch hier der sanfte Lufthauch zu spüren war und der Dunkelheit alles Bedrohliche nahm.
    »Warum ist es hier so finster?« wollte sie wissen.
    Die Frage schien das Tier zu verwirren: »Was ist das, finster? Was ist das, hell? Wir verstehen euch nicht. Dein Vater und der Junge, euer Calvin, haben uns diese Frage ebenfalls gestellt. Sie behaupteten, daß auf unserem Planeten jetzt Nacht sei, und daß sie nichts erkennen würden. Sie sagen, unsere Atmosphäre sei so undurchsichtig, daß man die Sterne nicht sehen könne. Sie sind überrascht, daß wir die Sterne nicht nur kennen, sondern auch ihre Musik und ihre Tanzkreise viel besser begreifen als ihr Menschendinge, obwohl ihr angeblich viel Zeit damit verbringt, sie durch eure – Fernrohre zu belauschen. Wir wissen nicht, was das heißt: sehen.«
    »Nun – nun, erkennen, wie etwas … wie es aussieht!« versuchte Meg zu erklären.
    »Wir wissen nicht, wie etwas aussieht, wie du das nennst«, sagte das Tier, »aber wir wissen, wie es ist. Dieses Sehen muß eine sehr behindernde Eigenschaft sein.«
    »Aber nein!« widersprach Meg. »Es ist – es ist die schönste Sache der Welt!«
    »Ihr müßt in einer sehr seltsamen Welt leben«, sagte das Tier, »wenn euch solche sonderbaren Sachen derart wichtig sind. Was ist denn dieses Licht eigentlich, ohne das ihr euch nicht zurechtfindet?«
    »Nun ja, ohne Licht können wir nicht sehen«, erwiderte Meg. Sie erkannte, daß es ihr unmöglich war, Begriffe wie Sehen oder Licht und Dunkelheit zu erklären. Wie sollte ihr das gelingen, wenn doch hier niemand Augen hatte und sie offenbar auch gar nicht benötigte? »Auf diesem Planten«, begann sie zögernd, »gibt es doch eine Sonne, ja?«
    »Eine ganz wunderbare Sonne. Sie schenkt uns Wärme, und ihre Strahlen geben uns unsere Blumen, unsere Nahrung, unsere Musik – und alles, was Leben und Wachstum bewirkt.«
    »So ist das auch bei uns«, sagte Meg. »Wenn unsere Erde, also unser Planet, der Sonne zugewandt ist – unserer Sonne —, dann haben wir Tag und empfangen ihr Licht. Und wenn wir uns von ihr abwenden, ist es Nacht. Um dann sehen zu können, brauchen wir eine künstliche Beleuchtung.«
    »Eine künstliche Beleuchtung!« Das Tier seufzte. »Auf eurem Planeten dürfte es wirklich sehr verwirrend zugehen. Du mußt mir später mehr davon erzählen.«
    »Gern!« versprach Meg, obwohl sie davon überzeugt war, daß sich unmöglich etwas erklären ließ, das man nicht sehen konnte. Und doch schienen diese augenlosen Tiere alles viel besser zu erkennen und zu erfassen als sie, ihre Eltern, Calvin oder sogar Charles Wallace.
    »Charles Wallace!« rief sie. »Was haben sie mit ihm vor? Und was hat ES mit ihm vor? Wozu wird ES ihn bringen? Bitte, bitte helft uns!«
    »Aber ja, kleines Ding! Natürlich helfen wir euch. Wir beraten soeben, was geschehen soll. Das ist gar nicht einfach, denn noch nie konnten wir mit jemandem sprechen, der einem dunklen Planeten entronnen ist. Obwohl dein Vater sich allein die Schuld an allem gibt, was geschehen ist, fühlen wir, daß er ein außergewöhnliches Wesen sein muß. Wie sonst wäre er mit euch von Camazotz losgekommen? Aber dieser Junge, dieser Charles Wallace … Ich habe begriffen, daß er

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