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Die Zeitfalte

Die Zeitfalte

Titel: Die Zeitfalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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ungewöhnlich hart an, wie eine Anklage.
    »Wir haben ihn nicht einfach zurückgelassen«, korrigierte Vater geduldig. »Du mußt bedenken, daß das menschliche Gehirn ein sehr empfindlicher Organismus ist, der leicht Schaden nehmen kann.«
    »Begreife doch, Meg!« Calvin beugte sich über sie; er war beunruhigt und ein wenig verärgert. »Hätte dein Vater versucht, Charles beim Tessern mitzureißen, ohne daß ES ihn zuvor freigegeben hatte, wer weiß, ob das für ihn nicht zu viel gewesen wäre. Dann hätten wir Charles womöglich für immer verloren. Und wir durften nicht einen Augenblick länger zögern.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ES uns schon beinahe im Griff hatte. Du und ich, wir waren gerade an der Kippe. Und wenn dein Vater sich weiter darauf beschränkt hätte, uns zu halten, wäre er über kurz oder lang selbst aufgesogen worden.«
    »Es war deine Idee, daß er tessern soll!« warf Meg Calvin vor.
    »Du darfst ihm keine Schuld geben!« wandte Herr Murry mit Entschiedenheit ein. »Kannst du dich schon etwas bewegen?«
    Megs sämtliche Fehler hatten jetzt Überhand gewonnen; aber diesmal war ihr das keine Hilfe. »Nein!« sagte sie trotzig. »Und am besten schaffst du mich sofort wieder nach Camazotz und zu Charles Wallace zurück. Schließlich haben wir von dir erwartet, daß du uns aus der Patsche hilfst!« Das Gefühl der Enttäuschung war so übermächtig und – finster wie … wie das Schwarze Ding. Die bösen Vorwürfe kamen ihr wie von selbst über die Lippen; sie wunderte sich geradezu, daß sie so zu ihrem lieben, heiß herbeigesehnten Vater sprechen konnte. Wären nicht auch ihre Tränen eingefroren gewesen, hätte sie wahrscheinlich jetzt laut herausgeheult.
    Sie hatte Vater gefunden, und er hatte nichts, gar nichts gut gemacht. Vielmehr wurde alles nur immer schlimmer und schlimmer. Nach langer Suche hatten sie ihn zwar gerettet, aber jetzt war er nicht einmal in der Lage, ihre Schwierigkeiten zu überwinden. So schmolzen die Aussichten dahin. Es gab keine Hoffnung mehr. Sie war steifgefroren; ES hatte Charles Wallace in seine Klauen bekommen – und ihr scheinbar allmächtiger Vater tat nichts dagegen, rein gar nichts!
    Meg wurde zwischen Zuneigung und Haß hin und her gerissen, und das Schwarze Ding stieß sie immer tiefer hinein in den Haß.
    »Du weißt ja nicht einmal, wo wir sind!« schleuderte sie ihrem Vater entgegen. »Nie, nie werden wir Mutter und die Zwillinge wiedersehen! Wir haben keine Ahnung, wo unsere Erde ist. Wir könnten auch Camazotz nicht wiederfinden. Wir sind verloren im All! Und du? Was wirst du jetzt tun?«
    Es war ihr nicht bewußt, daß das Schwarze Ding sie in diesem Augenblick nicht weniger in der Gewalt hatte als ES ihren Bruder Charles Wallace.
    Herr Murry beugte sich über sie und begann sanft ihre Finger zu massieren. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen.
    »Mein liebes Kind«, sagte er, »ich bin weder eine Frau Wasdenn noch eine Frau Diedas oder eine Frau Dergestalt – ja, Calvin hat mir alles erzählt. Ich bin nur ein Mensch, und ein sehr fehlbarer obendrein. Aber ich bin mit Calvin einer Meinung: Wir wurden ausgesandt, um eine Mission zu erfüllen. Und wir wissen eines: ›Daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach dem Vorsatz berufen sind.‹«
    »Und das Schwarze Ding?« rief Meg. »Warum hast du zugelassen, daß es mich beinahe verschlungen hätte?«
    »Dir ist das Tessern von Anfang an schwerer gefallen als uns!« erinnerte Calvin sie. »Charles Wallace und ich hatten nie so sehr darunter zu leiden.«
    »Dann hätte er mich nicht mitnehmen dürfen«, beharrte Meg trotzig, »solange er es nicht besser beherrscht.«
    Weder Vater noch Calvin erwiderten etwas darauf. Vater massierte nur weiterhin behutsam ihre Hände. Megs Finger begannen schmerzhaft zu prickeln. »Du tust mir weh!« klagte sie.
    »Das ist ein gutes Zeichen«, sagte er ruhig. »Ich fürchte, es wird noch mehr weh tun, Meg.«
    Der durchdringende Schmerz breitete sich langsam in den Armen aus und erfaßte dann auch ihre Zehen und die Beine. Sie wollte aufschreien – aber da rief Calvin plötzlich: »Schaut!«
    Lautlos glitten ihnen durch das braune Gras drei Gestalten entgegen.
    Wer kam da?
    Auf Uriel waren ihnen prächtige Fabelwesen begegnet. Die Bewohner von Camazotz hatten irdischen Menschen geglichen. Aber womit waren diese drei seltsamen Wesen zu vergleichen, die sich ihnen jetzt näherten?
    Sie waren so mattgrau wie die Blumen. Wären sie nicht aufrecht

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