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Die Zeitfalte

Die Zeitfalte

Titel: Die Zeitfalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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Geschöpfe auf Uriel vergleichen ließen. Es war eine Musik, nach der man greifen, die man fühlen konnte. Sie hatte Form und Gestalt. In ihr lag Meg sanfter und sicherer geborgen als in den Armen des Tantentiers. Auf diesen Klagen schwebte sie, ließ sich von ihnen hochheben und weit forttragen – bis Meg selig zwischen den Sternen schwebte; und in diesem Augenblick erkannte sie, daß Worte wie Licht oder Finsternis tatsächlich ohne Bedeutung waren, daß nichts war, daß es nichts g ab, außer dieser Musik …
    Meg hätte nicht sagen können, wann sie inmitten dieses Klingens eingeschlummert war. Als sie erwachte, schlief das Tantentier an ihrer Seite; den weichen, pelzigen, gesichtslosen Kopf vornübergesunken. Die Nacht war vergangen, und mattes, graues Licht erhellte den Raum.
    Meg hatte bereits begriffen, daß auf diesem Planeten Farben überflüssig waren; daß das ineinanderfließende Grau und Braun von den Tieren als solches gar nicht wahrgenommen wurde; daß das, was sie sehen konnte, nur eine unbedeutende Äußerlichkeit dieses Planeten war und keineswegs der Wirklichkeit entsprach. Ihre Sinne reichten nicht aus und waren verkümmert; die Tiere hingegen konnten Vorgänge empfinden, die Meg sich nicht einmal im Traum vorzustellen vermochte.
    Sie bewegte sich ein wenig, und schon beugte sich das Tantentier über sie. »Wie gut du geschlafen hast, mein kleines Ding! Wie fühlst du dich jetzt?«
    »Wunderbar!« sagte Meg. »Du, Tantentier, wie heißt euer Planet eigentlich?«
    »Oh, Kleines!« Das Tier seufzte. »Es fällt mir schwer, etwas so auszudrücken, wie dein Verstand es zu formen gewohnt ist. Das, woher ihr gekommen seid, nennst du Camazotz?«
    »Ja, aber Camazotz ist nicht unser Heimatplanet.«
    »Dann könntest du unseren Stern Ixchel nennen«, sagte das Tantentier. »Wir haben mit Camazotz dieselbe Sonne gemeinsam, aber das ist zum Glück schon alles.«
    »Kämpft ihr gegen das Schwarze Ding?« fragte Meg.
    »O ja!« rief das Tantentier. »Darin dürfen wir nie ermüden. Wir sind gerufen nach Seiner Absicht, und wen Er ruft, den rechtfertigt Er auch. Natürlich sind wir nicht allein; ohne Beistand fiele uns alles viel schwerer.«
    »Wer hilft euch?«
    »Ach, kleines Ding, wie soll ich dir denn nun das wieder erklären? Es ist ja nicht nur deshalb so schwer, weil du noch ein Kind bist. Ich weiß mittlerweile, daß man sich in die beiden Großen um nichts leichter einfühlen kann. Wie kann ich es dir so sagen, daß es für dich Sinn bekommt? Das Gute hilft uns; die Sterne helfen uns; das, was du wohl meinst, wenn du von Licht sprichst, hilft uns; die Liebe hilft uns. Ach, mein Kind, ich kann es dir nicht erklären. Es ist etwas, das man entweder fühlt oder nicht.«
    »Aber … «
    »Wir betrachten nicht, was – um dein Wort zu gebrauchen -zu sehen ist, sondern das, was sich nicht sehen läßt. Denn alles Sichtbare ist vergänglich; aber das Unsichtbare währt ewig.«
    »Kennst du vielleicht Frau Wasdenn?« platzte Meg mit plötzlicher Hoffnung heraus.
    »Frau – Wasdenn?« Das Tantentier war völlig verwirrt. »Ach, kleines Ding, deine Sprache ist so überaus einfach und beschränkt, daß sie mir allein dadurch zu schwer wird.« Es breitete in einer hilflosen Geste alle vier Arme aus und wedelte mit den Fühlern. »Möchtest du nicht lieber, daß ich dich zu deinem Vater und zu Calvin bringe?«
    »O, doch, bitte!«
    »Gut, dann laß uns gehen. Sie warten schon auf dich; sie wollen Pläne machen. Und wir fühlten, daß ihr bestimmt gern miteinander – wie sagt ihr doch dazu? Ach ja, ich weiß schon: – daß ihr gern miteinander das Frühstück essen möchtet. In diesem Pelz wird dir aber mittlerweile zu warm werden. Ich werde dir etwas Leichteres anziehen, und dann gehen wir.«
    Wie ein Baby wurde Meg vom Tantentier gebadet und angekleidet. Das helle Gewand, das sie jetzt bekam, war zwar ebenfalls aus einem Fell gefertigt, trug sich aber leichter als auf der Erde das luftigste Sommerkleid.
    Das Tantentier legte Meg schützend die Fühler eines Armes um die Hüfte und geleitete sie so durch lange dunkle Gänge, in denen Meg bloß Schatten wahrnehmen konnte – und Schatten von Schatten —, bis sie eine große Säulenhalle erreichten. Durch eine Öffnung in der Decke fielen Lichtbündel ins Innere und vereinigten sich um einen mächtigen runden Tisch, der aus Stein gehauen war. Hier saßen bereits mehrere Tiere mit Calvin und Herrn Murry auf steinernen Bänken versammelt. Weil die Tiere so groß

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