Die Zeitstraße
gegenüber Frankfurt. Friedrich führte seine Truppen aus dem Marsch direkt in die Schlacht. Nach heißem Kampf wurden die russischen Schanzen gestürmt. Das Zusammenspiel zwischen den Verbündeten klappte nicht so richtig. Laudon wurde von Seydlitz’ Kavallerie in Schach gehalten und beteiligte sich während des Vor- und frühen Nachmittags nicht am Kampf. Nach der Erstürmung der russischen Schanzen gingen die ersten Siegesboten nach Berlin ab. Noch allerdings hielten die Russen einige wichtige Stellungen, so zum Beispiel den Spitzberg im Südwesten des Ortes Kunersdorf. Friedrich wollte sich mit einem halben Sieg nicht begnügen und ordnete den Sturm auf die verbleibenden russischen Stellungen an. Einen ganzen Nachmittag lang verblutete sich das preußische Heer auf den Hängen des Spitzbergs, ohne daß ein Fortschritt erzielt worden wäre.
Da beging der Große Friedrich den entscheidenden Fehler: Er wollte den Sieg um jeden Preis erzwingen und sandte einen Kurier an den General Seydlitz, mit seiner Kavallerie in den Kampf um die russischen Stellungen einzugreifen. Seydlitz gehorchte, aber Laudon nutzte unverzüglich die Gelegenheit, sich ebenfalls am Kampf zu beteiligen. Mit seinen frischen, ausgeruhten Truppen fiel er über die todesmatten Preußen her und bereitete ihnen eine vernichtende Niederlage. Um sieben Uhr abends war die Schlacht für Friedrich endgültig verloren. Mehr als ein Drittel seines Heeres blieb auf dem Schlachtfeld. Der König selbst trug sich mit Selbstmordabsichten, nachdem er während der Schlacht dem Tod dreimal nur um Haaresbreite entgangen war.
»Alles ist verloren!« schrieb er nach Berlin.
Das jedoch erwies sich später als ein voreiliges Urteil, unter dem Eindruck der katastrophalen Niederlage gefällt. Preußen überlebte den Siebenjährigen Krieg und wurde zur vorherrschenden Macht Deutschlands. Fast neunzig Jahre später, im Jahre 1848, wurde ein verarmter preußischer Landadeliger namens Wedell, ein entfernter Verwandter des Generals, der mit Friedrich bei Kunersdorf gekämpft hatte, in die politischen Wirren jener Tage verwickelt und sah sich schließlich veranlaßt, mit seiner Familie nach Amerika zu fliehen.
Ein ferner Nachkomme des Auswanderers wurde im Jahre 1988 in Poughkeepsie im amerikanischen Bundesstaat New York geboren und auf die Namen Jake Frederick getauft. Als Junge und junger Mann entwickelte Jake Frederick, dem die Geschichte seiner Familie wohl bekannt war, ein aktives Interesse für europäische, besonders deutsche Geschichte. Daß er anstatt Historiker später Elektroniker wurde, hat er sich selbst niemals recht erklären können. Er entwickelte sich jedenfalls zu einem äußerst tüchtigen und erfolgreichen Techniker, der frühzeitig zu dem Projekt TIME SHUTTLE, späterhin CHRONOSKAPH genannt, berufen wurde.
Inzwischen war für Jake F. Wedell das Befassen mit der Geschichte des alten Preußen zu einer Besessenheit geworden. Der Chronoskaph gab ihm die Möglichkeit, an den geschichtlichen Vorgängen des Siebenjährigen Krieges Änderungen vorzunehmen. Als eleganteste Möglichkeit bot sich ihm die Schlacht von Kunersdorf, wo, um die preußische Niederlage zu verhindern, nur der Ritt des Kuriers zu unterbunden werden brauchte, den König Friedrich am späten Nachmittag zu Seydlitz gesandt hatte, um diesen von seinem Posten gegenüber Laudon abzuberufen. Kein Kurier an Seydlitz, kein Eingreifen Laudons. Das war Jake Wedells Rezept. Morgen gedachte er, es in die Tat umzusetzen. Denn der Tag, an dem er gelandet war, war der 11. August 1759, und der Ort Trettin, wohin er sich an Bord von Trupjes Ochsenfuhrwerk begab, lag kaum fünf Kilometer nördlich von Kunersdorf, am rechten Ufer der Oder.
Alles hatte Jake F. Wedell bedacht und jahrelang vorbereitet. Eines jedoch hatte er übersehen: Er beherrschte die Geheimnisse der Elektronik, und er kannte die Geschichte der Epoche, in der er reiste, so gut wie irgendeiner. Aber von der Chronoskaphie verstand er nichts, und sein Glaube an die Eindimensionalität der Zeit sollte ihm zum Verhängnis werden.
Von einem Bauern in Trettin erstand er ein Pferd für fünfundzwanzig Taler, statt deren er dem Verkäufer drei Dukaten gab. Der Bauer war’s mehr als zufrieden und warf noch eine kräftige Mahlzeit drein, an der Jake Wedell sich allerdings den Magen verdarb, weil er an so viel Schweinefett nicht gewöhnt war. Gegen Nachmittag ritt er aus Trettin fort. Er hielt sich abseits der Straße, um nicht mit den
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