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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Mädchen gesehn und es warnen wollen vor dem Folterer und dem anderen Mädchen. Da hast du dich in bezug auf beide vielleicht nicht einmal getäuscht.«
    »Ihr sagt es, Sieur.«
    »Weißt du, Ouen, daß du ihr ein bißchen ähnlich siehst?«
    »Er gleicht eher Euch!« warf kichernd der fette Wirt ein, der mehr oder weniger offen unser Gespräch mit angehört hatte.
    Ich muß gestehen, ich habe große Augen gemacht.
    »Nichts für ungut, Sieur, aber es stimmt! Er ist ein bißchen älter, aber als Ihr gesprochen habt, habe ich die Gesichter von der Seite gesehen, und da ist nicht viel Unterschied.«
    Ich betrachtete Ouen abermals. Seine Haare und Augen waren nicht dunkel wie die meinen, aber abgesehen von diesem Farbunterschied hätte sein Gesicht praktisch das meine sein können.
    »Du sagst, nie eine Frau wie Dorcas – wie die auf deinem Medaillon gefunden zu haben. Dennoch hast du schon eine Frau gefunden, denk’ ich.«
    Er mied meinen Blick. »Freilich, Sieur.«
    »Und ein Kind gezeugt.«
    »Nein, Sieur!« Er war verdutzt. »Nie, Sieur!«
    »Interessant. Hattest du je Schwierigkeiten mit dem Gesetz?«
    »Mehrmals, Sieur.«
    »Es ist gut, daß du das leise sagst, aber so leise braucht es auch nicht gerade zu sein. Und sieh mich an, wenn du mit mir sprichst. Eine Frau, die du geliebt hast – oder vielleicht hat nur sie dich geliebt –, eine dunkle Frau, ist geholt worden?«
    »Stimmt, Sieur«, antwortete er. »Ja, Sieur. Catherine hieß sie. Ein recht altmodischer Name, wie man sagt.« Achselzuckend hielt er inne. »Hat Schwierigkeiten gegeben, wie Ihr sagt, Sieur. Sie war aus irgendeinem Orden davongerannt. Ist abgeholt worden, und ich habe nie wieder von ihr gehört.«
    Er wollte zwar nicht, aber wir nahmen Ouen mit, als wir zum Lugger zurückkehrten.
     
    Als ich auf der Samru flußaufwärts gefahren war, glich die Linie zwischen der lebendigen und der toten Stadt derjenigen zwischen dem dunklen Horizont und dem Himmelszelt mit seinen Sternen. Am hellichten Tag nun war diese Grenze völlig verschwunden. Halbverfallene Gebäude säumten das Ufer, aber ob sie von den erbärmlichsten Bürgern unsrer Stadt bewohnt wurden oder bloß leere Hüllen waren, konnte ich nicht feststellen, bis ich eine Leine bemerkte, an der drei Lumpen flatterten.
    »In der Zunft haben wir das Ideal der Armut«, sagte ich zu Drotte, als wir uns aufs Schandeck lehnten. »Aber diese Leute brauchen dieses Ideal nicht; sie haben es verwirklicht.«
    »Ich würde meinen, sie brauchten es vor allen anderen«, antwortete er. Er irrte sich. Der Increatus, höher als alle Hierodulen und jene, denen diese dienen, war hier; sogar auf dem Fluß spürte ich seine Gegenwart, wie man die Anwesenheit des Herrn eines großen Hauses spürt, obgleich er sich in einer geheimen Kammer oder in einem anderen Stockwerk aufhalten mag. Als wir an Land gingen, war mir, als würde ich, träte ich durch irgendeine der Türen dort, eine glänzende Gestalt überraschen; und daß der Herr aller solcher Gestalten überall gegenwärtig sei, unsichtbar nur deshalb, weil er zu groß sei, um erfaßt zu werden.
    Wir fanden eine getragene, aber noch nicht alte Männersandale in einer der grasbedeckten Straßen. Ich sagte: »Ich habe mir sagen lassen, es gibt hier in diesen Vierteln allerlei plünderndes Gesindel. Das ist ein Grund, warum ich euch mitgenommen habe. Wenn’s nur mich beträfe, hätt’ ich’s allein getan.«
    Roche nickte und zog sein Schwert, aber Drotte sagte: »Hier ist niemand. Du bist viel weiser als wir geworden, Severian, aber ich glaube, du hast dich ein bißchen zu sehr an Dinge gewöhnt, die normale Menschen in Angst und Schrecken versetzen.«
    Ich fragte, was er damit meine.
    »Du weißt, wovon der Schiffer gesprochen hat. Ich hab’s dir angesehn. Auch du warst furchtsam, zumindest besorgt. Aber nicht verschreckt wie er auf seinem Schiff in der Nacht, oder wie Roche oder Ouen dort oder ich es gewesen wären, wären wir in der Nähe des Flusses gewesen und hätten gemerkt, was vor sich gehe. Die Plünderer, von denen du sprichst, waren in der Nacht hier und müssen stets Wache halten und auf die Zollkutter aufpassen. Sie werden sich also heute und in den nächsten Tagen nicht in der Nähe des Flusses blicken lassen.«
    Eata tippte mir auf den Arm. »Meinst du, das Mädchen – Maxellindis – ist drunten auf dem Schiff in Gefahr?«
    »Sie ist viel weniger in Gefahr als du vor ihr«, versetzte ich. Er wußte nicht, was ich meinte. Seine Maxellindis

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