Die Zuckerbäckerin
ähnlich sie sich äuÃerlich waren, und murmelte etwas von »aus dem gleichen Holz geschnitzt«. Wer sich aber die Mühe machte, genauer hinzuschauen, muÃte dieses Urteil zwangsläufig revidieren. Es stimmte, Eleonore und Sonia hatten beide das gleiche kastanienbraune Haar, die gleichen dunkelbraunen Augen. Nur, daà Sonias Haar eine Spur störrischer zu sein schien als Eleonores. Dafür glänzten deren Augen eher wie warmer Milchkaffee, während die Augen ihrer Schwester einen kühlen Schimmer ausstrahlten. Und obwohl beide den gleichen rostroten Mund hatten, wirkten Sonias Lippen fleischiger, fester, ihre gewagte Wölbung auf eine seltsame Art herausfordernder als bei Eleonore.
»Mutter!« gab diese müde zurück. »Die hätte sich nie an eine solche Tollheit gewagt!« Eleonore schüttelte den Kopf. Sie war zwar nur ein Jahr älter als Sonia, doch manchmal hatte sie das Gefühl, als habe die Schwester ihre Mutter nicht wirklich gekannt, sondern immer nur mit den Augen einer Fremden betrachtet. Die groÃe Räuberin Columbina, »die schwäbische Sackgreiferin«, wie sie genannt wurde.Selbst die rauhesten Burschen hatten Respekt vor ihr, das stimmte schon! Aber wies drinnen in Columbina aussah, davon hatte Sonia nie etwas gewuÃt. Sie war von der Mutter immer geschont worden. Wenns darum ging, über die immer schärferen Verordnungen gegen die Vaganten zu lamentieren, dann war es Eleonore, der sie die Ohren vollheulte. Wenn sie im Rausch ihre drei Ehemänner beklagte, die sie durch den Strick oder das Fallbeil verlorenen hatte, dann war es Eleonore, die ihr zuhören muÃte. Sonia wurden immer nur aufregende Geschichten von Columbinas früheren Taten erzählt, bei denen sie stets mit fetter Beute und höchstens einem blauen Auge davongekommen war. Oftmals hätte Eleonore ihr dann ins Gesicht schreien mögen: »Sei still, Mutter, hör endlich auf, uns mit deinen Märchen einzulullen!« Doch gesagt hatte sie nie etwas. Welchen Sinn hätte es auch gehabt? Sonia war den Geschichten ihrer Mutter längst verfallen, weigerte sich, die Armseligkeit von Columbinas Dasein zu erkennen. Selbst nach ihrem Tod im letzten Winter war es Sonia nicht in den Sinn gekommen, Stuttgart zu verlassen und aufs Land zu gehen. Immer wieder hatte Eleonore auf sie eingeredet, doch von einem Leben als Tagelöhnerin wollte Sonia nichts hören. »Kartoffeln in der Erde verbuddeln und Rüben setzen? Nie und nimmer! Soll denn alles umsonst gewesen sein, was Columbina uns beigebracht hat?« Stur wie eine alte Ziege hatte sie ein ums andere Mal die gleiche Antwort gegeben. Daà es bei der ganzen Armut im Land für Sackgreiferinnen so gut wie nichts mehr zu holen gab, davon wollte sie erst recht nichts hören. »Dann müssen wir uns eben neue Wege überlegen, um ans Geld der Leute zu kommen«, war ihre Antwort gewesen. Und deshalb saÃen sie heute hier. Tagelang hatte Sonia nichts anderes getan, als auf dem Marktplatz herumzulungern und zu beobachten: Wer machte hier seine Besorgungen? Wann kamen die Leute, die aussahen, als hätten sieetwas Geld im Sack? Die Dienstboten und Küchenmägde, das hatte sie schnell heraus, waren die ersten, die frühmorgens auf dem Markt auftauchten. Mit abgezählten Kreuzern in der Hand machten sie die ihnen aufgetragenen Einkäufe, um dann schnell wieder nach Hause zu hasten, wo ein langer Tag voller Arbeit auf sie wartete. Von denen war nichts zu holen, erkannte Sonia und schaute sich weiter um. Etwas später am Morgen, gegen acht Uhr, kamen die Frauen der Handwerker und Ladenbesitzer. Sie, die erst aufstehen muÃten, nachdem ihre Mägde das Feuer geschürt und das Morgenmahl für die Familie zubereitet hatten, nahmen sich für die Markteinkäufe mehr Zeit als die Dienstboten. Sie stellten ihre sperrigen Körbe mitten im Weg ab, hielten hier ein Schwätzchen, lauschten da einem Scherz, um sich dann langsam auf den Weg in einen arbeitsamen Tag zu machen. Nein, auch diese Weiber waren es nicht wert, Kopf und Kragen zu riskieren. Trotzdem hielt Sonia mit zäher Verbissenheit an ihrer Ãberzeugung fest, der Stuttgarter Wochenmarkt biete ein neues und erträgliches Betätigungsfeld für ihre Diebstähle. Am Samstag war es endlich soweit gewesen: Sie hatte die geeigneten Opfer entdeckt.
Eleonore seufzte erneut.
»Da kommen sie!« Wie eine Katze glitt Sonia aus
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