Die Zukunftsmacher
Typen mal was verraten. Wir leben hier in der reinsten Planktonfabrik. Bevor ihr's euch verseht, wird euch die Hotelleitung auch noch Planktonfrauen anbieten ...«
Von da an hatten sie ab und zu vom Merdeka als der »Planktonfabrik« gesprochen. Nach einiger Zeit war die Redewendung abgedroschen, und sie ließen sie sein.
All das war in jenen Minuten des Ertrinkens durch Tynes Kopf geschossen. Er wußte, daß er Murray im Merdeka finden konnte. Davon hatte Murray gesprochen. Mina war in die Irre geführt worden. Stöbert auch. Schließlich wußten sie ja auch nichts von der witzigen Bezeichnung, die die drei Freunde für das Hotel hatten. Gestern hatte Tyne dem Merdeka einen fruchtlosen Besuch abgestattet. Heute würde er dort den richtigen Leuten die richtigen Fragen stellen.
Er bezahlte die Rechnung und verließ das chinesische Café. Für die gestohlene Waffe hatte er schon Munition gekauft. Er ging vorsichtig durch Nebenstraßen und war auf jede Gefahr gefaßt. Ein Protestmarsch der Ausgesiedelten, die mit Pauken und Fahnen am Hotel vorbeizogen, diente als gute Tarnung, als Tyne ins Foyer schlüpfte.
Die Vertrautheit des Platzes überfiel ihn wie dicker Dunst. Zu dieser Stunde, bevor das politische Tagesgeschehen mit seinen endlosen Konferenzen und Debatten begann, war die Halle voll mit Männern von dem Typus, zu dem Tyne einst auch gehört hatte. Tyne fühlte sich so fremd unter ihnen, wie ein Roskianer sich wohl fühlen mochte.
Er ging durch das Gebäude in den Hinterhof, wo sich zwei alte Chinesinnen gegenseitig das Haar im Sonnenschein kämmten.
»Wissen Sie vielleicht, wo Amir ist?« fragte Tyne.
»Er ist im Lagerhaus und überprüft die Vorräte.«
Das »Lagerhaus« war ein roher Backsteinschuppen an der einen Seite des Hofes. Er duckte sich zwischen hohen Häusern und hatte passenderweise einen Hinterausgang auf eine dunkle Gasse. Vor dem Schuppen stand ein kleiner Lieferwagen, auf dem in malaiisch, chinesisch, russisch und englisch geschrieben stand: »Semapang-Plankton-Verarbeitungsgesellschaft«. Das Merdeka bekam gerade seine tägliche Ration geliefert.
Als Tyne näher kam, tauchte ein uniformierter Fahrer aus dem Schuppen auf, stieg in den Wagen und fuhr davon. Tyne schritt geradewegs zur Schuppentür. Amir beugte sich mit dem linken Arm in einer Schlinge gerade über eine Kiste und verglich die Angaben. Tyne trat zu ihm.
Amir war fast so etwas wie ein Freund von Allan und Tyne gewesen. Doch jetzt lag nur Furcht in dem dunklen intelligenten Gesicht, als er seinen Besucher erkannte.
»Was ist denn mit deinem Arm passiert, Amir?«
»Ich dachte, Sie wären tot, Mr. Leslie.«
»Wer hat dir denn das gesagt?«
»Sie dürfen hier nicht bleiben, Mr. Leslie! Es ist gefährlich. Das Merdeka wird ständig überwacht. Bitte gehen Sie! Es ist für alle Beteiligten das beste!«
Amirs Erregung war offensichtlich. Tyne packte ihn beim gesunden Arm und sagte: »Wenn du weißt, Amir, daß es hier gefährlich ist, dann mußt du auch wissen, was geschieht. Das Leben aller Menschen ist gefährdet. Ich muß sofort Murray Mumford finden. Sofort! Weißt du, wo er ist?«
Zu seinem Erstaunen fing der junge Malaie zu weinen an. Er hob eine Hand, um die Augen zu bedecken.
»Meinem Land ist so viel Unrecht von anderen Ländern angetan worden. Ich werde bei der Gruppe der Ausgesiedelten mitmachen. Wenn wir stark genug sind, werden wir alle Fremden zwingen, unser Land zu verlassen.«
»Die Roskianer auch!« fügte Tyne hinzu.
»Alle Fremden. Heute abend findet bei Bukit Besar ein Begräbnis statt. Wissen Sie, wer beerdigt wird? Das Halbblut Mina.«
»Mina! Tot?« rief Tyne.
»Das ist normalerweise der Anlaß für ein Begräbnis«, sagte Amir sarkastisch. »Die Roskianer haben sie wegen ihrer Freundschaft mit Mumford umgebracht. Vielleicht interessiert es Sie auch, daß mich die Roskianer gestern gefoltert haben. Heute kommen sie vielleicht wieder und töten mich. Als Sie gestern im Merdeka erschienen, bin ich Ihnen ausgewichen. Heute konnte ich es nicht verhindern und werde wahrscheinlich sterben müssen.«
»Unsinn, Amir! Reiß dich zusammen! Die Roskianer kommen nicht noch einmal. Was wollten sie gestern von dir wissen?«
Amir hörte so plötzlich zu weinen auf, wie er angefangen hatte. Er schaute Tyne gerade in die Augen und begann den bandagierten linken Arm zu entblößen. Nach einer Minute zeigte er ihn Tyne mit einer Mischung aus Entsetzen und Stolz.
»Die Roskianer fragten mich, wo sich Murray
Weitere Kostenlose Bücher