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Die zweite Haut

Die zweite Haut

Titel: Die zweite Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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war nicht kräftiger goldfarben, und ihre Haut war weder glatter noch rauher geworden. Den noch hatten die Erfahrungen ihr Charakter und Tiefe verliehen. So abgedroschen es sich in einem Zeitalter des unverblümten Zynismus auch anhören mochte, manchmal schien ein inneres Licht aus ihr zu leuchten, so strahlend wie das verehrte Objekt eines Gemäldes von Raffael.
    Ja, vielleicht hatte er ein Herz so weich wie Butter, vielleicht war er süchtig nach Romantik, aber er fand ihr Lächeln und die Herausforderung ihrer Augen unendlich attraktiver als einen Sechserpack nackter Cheerleader.
    Er gab ihr einen Kuß auf die Stirn.
    Sie sagte: »Ein schlimmer Augenblick? Was ist passiert?«
    Er hatte sich noch nicht überlegt, wieviel er ihr von den verlorenen sieben Minuten erzählen sollte. Im Augenblick schien es das beste zu sein, das unheimliche Erlebnis herunterzuspielen, am Montag morgen zum Arzt zu gehen und vielleicht sogar ein paar Tests durchführen zu lassen. Befand er sich bei bester Gesundheit, erwies sich das, was heute nachmittag in seinem Arbeitszimmer geschehen war, möglicherweise als einmaliger, unerklärlicher Vorfall. Er wollte Paige nicht unnötig beunruhigen.
    »Nun?« beharrte sie.
    Mit der Betonung des Wortes erinnerte sie ihn daran, daß zwölf Jahre Ehe schwerwiegende Geheimnisse unmöglich machten, sosehr seine Zurückhaltung auch besten Absichten entspringen mochte.
    Er sagte: »Erinnerst du dich an Audrey Aimes?«
    »Wen? Oh, du meinst in Ein toter Bischof ?«
    Ein toter Bischof war ein Roman, den er geschrieben hatte. Audrey Aimes war die Hauptperson.
    »Kannst du dich noch an ihr Problem erinnern?«
    »Sie fand einen toten Priester, der an einem Haken im Kleiderschrank ihrer Diele hing.«
    »Davon abgesehen.«
    »Sie hatte noch ein Problem? Eigentlich sollte ein toter Priester genügen. Bist du sicher, daß du deine Bücher nicht zu kompliziert konstruierst?«
    »Es ist mein Ernst«, sagte er, obwohl ihm bewußt wurde, wie seltsam es war, daß er seine Frau über eine persönliche Krise unterrichtete, indem er sie mit den Erlebnissen einer Krimiheldin verglich, die er selbst geschaffen hatte.
    War die Trennlinie zwischen Leben und Dichtung für andere Menschen ebenso verschwommen wie manchmal für einen Schriftsteller? Und wenn ja – konnte man daraus ein Buch machen?
    Stirnrunzelnd sagte Paige: »Audrey Aimes … O ja, du meinst ihre Blackouts.«
    »Fugues«, sagte er.
    Eine Fugue, in der Fachsprache auch »Amnesie-Episode« genannt, war eine Persönlichkeitsstörung. Das Opfer ging aus, sprach mit Leuten und ging verschiedenen Aktivitäten nach, wobei es einen völlig normalen Eindruck machte – und doch konnte es sich später nicht erinnern, wo es gewesen war und was es während der Blackouts getan hatte, als wäre die Zeit im Tiefschlaf verbracht worden. Eine Fugue konnte Minuten dauern, Stunden, sogar Tage.
    Audrey Aimes fing plötzlich im Alter von dreißig Jahren an, unter Fugues zu leiden, weil nach mehr als zwei Jahrzehnten verdrängte Erinnerungen an Kindesmißbrauch an die Oberfläche kamen und sie sich psychologisch davon distanzierte. Sie war überzeugt gewesen, daß sie den Priester im Zustand einer solchen Fugue getötet hatte, aber selbstverständlich hatte jemand anders ihn ermordet und in ihrem Schrank versteckt, und der ganze bizarre Mordfall stand damit in Zusammen hang, was ihr als kleines Mädchen widerfahren war.
    Obwohl er seinen Lebensunterhalt damit verdiente, vollendete Hirngespinste zu ersinnen, genoß Marty den Ruf, emotional so stabil wie der Fels von Gibraltar und so sanftmütig wie ein Golden Retriever auf Valium zu sein, und eben darum lächelte Paige ihn nun immer noch an und schien nicht bereit zu sein, ihn ernst zu nehmen.
    Sie stellte sich auf Zehenspitzen, gab ihm einen Kuß auf die Nase und sagte: »Du hast also vergessen, den Müll rauszubringen, und jetzt willst du dich damit herausreden, daß es an einem Persönlichkeitszusammenbruch liegt, der auf längst vergessene, gemeine Kindesmißhandlungen zurückgeht, als du sechs Jahre alt warst. Also wirklich, Marty. Du solltest dich schämen. Deine Mom und dein Dad sind die reizendsten Leute, die ich je getroffen habe.«
    Er ließ sie los, schloß die Augen und drückte eine Hand auf die Stirn. Er bekam teuflische Kopfschmerzen.
    »Im Ernst, Paige. Heute nachmittag … im Arbeitszimmer … sieben Minuten … nun, ich weiß nur, was ich in diesen sieben Minuten gemacht habe, weil es auf Band aufgezeichnet

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