Die zweite Nacht
du sollst meinen Bruder nicht ärgern«, bemerkte Frederik trocken und kuschelte sich wieder ins Kissen.
Wutentbrannt sprang ich aus dem Bett, griff meinen Bademantel und rannte in meine Wohnung. Das durfte doch nicht wahr sein! Nur weil ich ihm eine witzige Email geschrieben hatte, führte diese Zicke sich so auf? Der konnte vielleicht was erleben.
Bevor ich meinen Computer anschaltete, fummelte ich den Papierstreifen von der Kamera ab. Ich brauchte das Programm der Kamera nur zu öffnen, da blickte ich bereits in Bertrams zufriedenes Gesicht.
»Helen. So früh schon wach?«, erkundigte er sich ruhig.
»Sehr witzig. Was soll der Unsinn?«, fauchte ich ihn an.
Bertram legte den Kopf schräg und sah mich aufmerksam an. Da ich meine Hände auf den Schreibtisch gestützt hatte, blickte ich von oben auf den Bildschirm und brauchte eine Weile, bis ich bemerkte, dass Bertram nicht in mein Gesicht schaute.
Ich senkte den Kopf. Den Bademantel hatte ich nicht zugeknotet und mein Nachthemd bot ziemlich tiefe Einblicke. Wutentbrannt klopfte ich auf den Bildschirm. »Hier ist mein Gesicht, Blödmann!«, knurrte ich.
Bertram zog eine Augenbraue hoch, sah mir aber wieder ins Gesicht. Für den Bruchteil einer Sekunde hätte ich schwören können, ein Grinsen erkannt zu haben. »Wenigstens bietest du auch ungeschminkt einen netten Anblick. Frederik hat dich darüber informiert, dass meine Email-Adresse nur für Notfälle reserviert ist.«
»Okay«, sagte ich und rollte mit den Augen. »Die Botschaft ist angekommen.« Dann kniff ich die Lider zusammen und starrte Bertram finster an. »Warte mal, mein Freund. Als Frederik mir das gesagt hat, warst du gar nicht da.«
Schuldbewusstsein schlich sich in Bertrams Miene, doch dann entgegnete er schnippisch: »Wenn du ein sicheres technisches Gerät für deine Notizen und zum Schreiben suchst, empfehle ich dir eine Schreibmaschine.«
Ich holte tief Luft. »Du hörst mir jetzt genau zu: Ich hätte dir nicht diesen lächerlichen Cartoon schicken sollen, aber wenn du uns noch einmal belauschst, komme ich und finde dich! Verstanden?« Immer näher brachte ich mein Gesicht an den Bildschirm und funkelte Bertram an.
»Verstanden«, nickte Bertram schnell.
Erst jetzt riskierte ich einen Blick hinter Bertram und mein Mund blieb offen stehen. »Ist das Japan? Tokio? Du bist in Tokio?« Meine Stimme überschlug sich fast.
Dann hörte ich das Flüstern – es war eindeutig japanisch und weiblichen Ursprungs. Auch wenn ich nicht eine Silbe verstand, klang es selbst für meine Ohren verlockend. Bertrams Augenbrauen glitten ein kleines Stück in die Höhe und sofort erinnerte er mich noch stärker an seinen Bruder.
Bertram deutete eine Verbeugung an und sagte: »Ich muss gehen.«
Sofort darauf wurde der Bildschirm schwarz.
Frederiks leises Lachen erschreckte mich. »Hast du es gerade etwa wirklich gewagt, meinen Bruder zu maßregeln?«
»Ich denke schon. Wie viel hast du gehört?«, wollte ich wissen und richtete mich auf. Sicherheitshalber klebte ich den kleinen Papierstreifen trotzdem wieder über die Kamera.
»Genug, um beeindruckt zu sein und mich zu fragen, ob mein Bruder schon immer so ein Frauenheld war.« Frederik klang beinahe neidisch.
Nachdenklich sah ich auf meinen Computer. »Dann habe ich mir den verführerischen Tonfall nicht eingebildet?«
Frederik kam zu mir und legte die Arme um mich. »Nein. Das war auf jeden Fall ein erotisches Angebot.« Er gab mir einen Kuss auf die Stirn. »Und du bist dir sicher, dass es Tokio im Hintergrund war?«
»Ziemlich. Es sei denn, dein Bruder sitzt in Paderborn und hat eine Auswahl an beeindruckenden Foto-Tapeten im Schrank.«
Er lachte. »Weißt du, was das Schlimmste ist?«
»Dass wir es nie erfahren werden?«, fragte ich und grinste.
Frederik nickte und sah dann von oben in meinen Ausschnitt. Ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass er nicht mitbekommen hatte, dass sein Bruder gerade erst die gleiche Aussicht genossen hatte.
Offenbar hatte bereits ein anderes Körperteil das Denken für Frederik übernommen und seine Augen verdunkelten sich merklich. Nachdem ich mich ein letztes Mal vergewissert hatte, dass die Kamera auch wirklich bedeckt war, bewegte ich meine Schulter mit einer anmutigen Bewegung und der Bademantel fiel zu Boden.
Frederik missverstand die Geste und wollte ihn aufheben, doch ich legte die Hand auf seine Brust. »Schon gut, dann habe ich gleich etwas Weiches unter den Knien.«
»Oh Gott«, murmelte er
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