Die Zwerge
sich jede Einzelheit über seine erfundene Herkunft ins Gedächtnis, um der Befragung im Rat Stand halten zu können. Dann aber hielt ihn nichts mehr in seiner Kammer, und er streifte mit knurrendem Magen durch die erhaben gestalteten Felsgänge.
Unterwegs begegneten ihm zahlreiche Zwerge, die ihrem Äußeren und ihren mit Steinmehl behafteten Lederschürzen nach Arbeiter in den Steinbrüchen sein mussten. Sie grüßten ihn freundlich, und er erwiderte die Geste mit einem Nicken.
Ein Bote fing ihn unterwegs ab, um ihn zu seinem Frühstück zu bringen. Das verwunderte Tungdil zwar, aber als er wenig später Balendilín gegenübersaß, verstand er, dass es um die letzten Anweisungen vor dem Auftritt in der Versammlung ging.
»Wir haben alles vorbereitet, sorge dich nicht«, beruhigte ihn der Berater. Tungdil fand es faszinierend, wie die steinernen Zierspangen in den Bartsträhnen seines Gegenübers hin und her pendelten. »Wir haben drei Vernünftige bei den Vierten auf unserer Seite, die so tun werden, als hätten sie einmal etwas von einem verlorenen Kind gehört«, eröffnete er ihm. »Zusammen mit den Zeilen deines Magus reicht das fürs Erste aus, einen halbwegs glaubwürdigen Eindruck zu schaffen. Du wirst eine Rede halten …«
»Eine Rede?«, echote Tungdil und wandte den Blick von den intensiv riechenden Käsesorten, den verschiedenen Dauerwürsten, eingelegten Höhlenpilzen und dem gerösteten Stollenmoos ab. Schinken fehlte ebenso wenig wie Grütze und Brot, doch die Nachricht von der zu haltenden Ansprache wirkte sich auf seinen eben noch verspürten Hunger äußerst nachteilig aus.
»Sie muss nicht lang sein. Packe deine Erlebnisse und dein Wissen über das Tote Land hinein. Du wirst in der Abstimmung verlieren, was aber nichts macht. Wir gehen nach der Wahl Gandogars zur nächsten Stufe unseres Plans über.« Balendilín zwinkerte. »Keine Sorge«, beteuerte er aufs Neue.
»Keine Sorge, das sagt sich leicht«, seufzte Tungdil und lud sich von allem etwas auf seinen Holzteller. Dabei erzählte er vom Besuch und dem Angebot Bislipurs.
»Das passt zu ihm«, meinte Balendilín nicht im Geringsten erstaunt. »Weißt du, was das bedeutet? Wir sind auf dem richtigen Weg. Wenn der Griesgram bei dir vorspricht, ist das ein gutes Zeichen.«
Tungdil dachte ein wenig anders darüber. Er erinnerte sich noch sehr gut daran, dass Balendilín von einem Anschlag gesprochen hatte, und er traute Bislipur eine ähnliche Tat gegen ihn durchaus zu.
»Übrigens«, sagte der Einarmige, »die Zauberin hat uns mitsamt ihrem Krieger verlassen.«
»Was?«, entfuhr es dem Zwerg entsetzt. Sie hat tatsächlich aufgegeben und ihre Heimat ohne Zögern verlassen! »Wann ist sie aufgebrochen?«
»Heute Morgen, direkt nach Sonnenaufgang. Wir haben sie über die Brücke gehen lassen, weil es keinen Grund gab, sie aufzuhalten. Und außerdem … wie hält man eine Zauberin auf?«
»Gar nicht.« Tungdil schnalzte mit der Zunge. Mit ihr schwand die letzte Hoffnung, Nôd’onn einen in etwa gleichwertigen Gegner entgegenzustellen. Andôkai war wohl zu der Ansicht gelangt, dass sie die Verschlüsselung der Werke Goréns nicht lösen konnte, und suchte sich lieber eine neue Bleibe, um in der Wildnis nach Magiefeldern zu suchen. Warum haben Maira oder Lot-Ionan nicht überlebt? Sie wären geblieben und hätten uns gegen den Abtrünnigen beigestanden, dachte er niedergeschlagen.
»Jetzt ist es an dir, den Versen der Menschengelehrten die wahre Bedeutung zu entlocken«, ermunterte ihn Balendilín. »Die Schriftrollen unserer Sammlungen stehen dir offen, falls sie dir eine Hilfe sind.«
»Eure eigenen Gelehrten sollen sich besser damit befassen«, murmelte Tungdil.
Balendilín schüttelte den Kopf. »Sie verstehen die Zauberersprache nicht. Niemand kennt die Magi so gut wie du.« Er sah den verzweifelten Zwerg verständnisvoll an. »Die Bürde, die wir dir auflasten, ist schwer, aber der Dank wird umso größer sein. Schon jetzt stehen wir in deiner Schuld.«
»Ich werde es versuchen«, antwortete er tapfer kauend und stieß leise auf. Der Käse hatte es ihm angetan, aber sein Magen gewöhnte sich nur langsam an die rauen Mengen der Kost. Dazu trank er gesäuerte Milch, in die er einen Löffel Honig tat, um sie sich ein wenig zu versüßen. Die Küche der Zwerge sagte ihm zu.
Er verließ Balendilín und kehrte in seine Kammer zurück; dieses Mal richtete er die Augen fest auf den Steinboden und verlor keinen Blick nach rechts oder
Weitere Kostenlose Bücher