Die Zwerge
Oberkörper schwollen an, die Stiefel stemmten sich gegen den Boden. Nun zeigte er, warum er Pinnhand hieß. Er zog den eingehakten Schädel des Rappen zu sich und gab seinem Bruder die Gelegenheit, das Beil in dessen Nacken zu schlagen.
»Willst du immer noch beißen, Klepper?« Boїndil drosch zu. Die Halswirbel brachen, der Nachmahr erschlaffte.
Boëndal stellte seinen Stiefel auf den Kopf des Wesens und hebelte den langen Dorn aus dem Knochen.
Sein Zwillingsbruder grinste. »Jetzt ist das spitzohrige Reiterlein an der Reihe.« Er deutete hinter Tungdil. »Versteck dich besser und schau zu, wie man kämpft, damit du es lernst.«
Sie kauerten sich in der Nähe des toten Nachtmahrs nieder und warteten. Tungdil wollte ihnen von seinem Erlebnis mit dem Untoten berichten, aber sie winkten ab. Erst mussten sie sich die Albin vom Hals schaffen.
Es dauerte nicht lange, da hörten sie einen lang gezogenen, unmenschlichen Frauenschrei.
Boїndil wackelte fröhlich mit den Augenbrauen, warf den Zopf nach hinten und hielt sich bereit. »Das klang doch wie Musik in meinen Ohren.«
Boëndal lauschte, ehe er unvermittelt aufsprang; sein Bruder folgte ihm, ohne Fragen zu stellen.
Ich sollte sie begleiten, anstatt feige herumzusitzen. Tungdil fühlte sich verpflichtet, ihnen gegen die schreckliche Gegnerin beizustehen, und wenn er nur zur Ablenkung taugte. Er packte seufzend seine Axt und wollte gerade aufstehen, als ihn zwei skelettierte Hände von hinten an den Schultern packten und ihn zu Boden drückten.
»Wer bist du?«, hörte er eine feine weibliche Stimme fragen, während übel riechende, feuchte Knochenfinger in seinem Gesicht herum tasteten. »Du bist klein. Ein Unterirdischer?«
Der Zwerg wurde herumgerollt. Er schaute in das geschändete Gesicht der anmutigen Elbin. Auch sie war zur Wiedergängerin geworden. Die Herrin des Grünhains hatte sich von der Buche losgerissen und irrte blind umher, weil ihr die Albae die Augen nahmen.
»Lass mich, Elbin!«, schrie Tungdil und versuchte, an seine Waffe zu gelangen. Doch sie hielt seine Arme fest, sodass er nur seinen Dolch greifen konnte. Er stach zu; die Klinge klirrte gegen die blanken Rippen und richtete keinerlei Schaden an.
»Was macht ein Zwerg in meinem Hain!?«, herrschte sie ihn an, und ihre knöcherne Hand legte sich um seine Kehle. »Machst du gemeinsame Sache mit den Albae? Ist euer Hass so groß gegen mein Volk geworden, dass ihr euch mit dem Bösen einlasst, um uns zu vernichten?«
Er rang seine Angst nieder und bemerkte den Unterschied in ihrem Tonfall. Sie klang nicht wie Gorén, offenbar verfügte sie über einen Rest eigenen Willens. »Nein, Herrin! Lot-Ionan schickte mich, um Goréns Artefakte zu überbringen …«, würgte er hervor.
Ihre schwarzen Augenhöhlen richteten sich auf ihn. »Was geschieht mit mir?«, raunte sie ängstlich. »Ich spüre, dass ich mich verändere. Ich war tot, doch … meine Seele …« Die Elbin stockte. »Lot-Ionan sandte dich? Der Nestor meines Geliebten?« Ihr unbarmherziger Griff lockerte sich. »Es gibt ein Buch, drüben im Haupthaus, es liegt in der Bibliothek. Gorén wollte es deinem Magus bringen lassen, als uns die Albae angriffen …«
»Ich habe es«, unterbrach er sie.
»Sie dürfen das Buch nicht erhalten!«, schärfte sie ihm ein. »Bringe es nach Ionandar und gib es dem Magus! Er wird verstehen, wenn er den Brief meines Geliebten liest.« Der Druck der Skelettfinger nahm wieder zu. »Schwöre es!«
Tungdil stotterte einen Eid auf Vraccas und seinen Ziehvater. Die skelettierte Elbin schien zufrieden und kroch von ihm weg.
»Schlage mir den Kopf ab«, bat sie leise. »Ich will das Wenige, das ich von meiner Seele noch besitze, nicht an das Tote Land verlieren.« Die Herrin Grünhains breitete ihre Knochenarme aus. »Sieh, was sie aus mir gemacht haben. Soll ich für alle Ewigkeit umherirren und den Befehlen des Bösen folgen?« Die finsteren Löcher in ihrem Antlitz bannten ihn.
»Ich …«
»Alles, was mir lieb und teuer war, nahmen sie mir. Meine Liebe, meine Schönheit, mein Zuhause und meinen Wald.« Sie hob die Linke, streckte den Zeigefinger und schob ihn zögerlich in die leere Augenhöhle. »Ich kann nicht einmal um das Verlorene weinen. Habe Mitleid.«
Tungdil konnte die grenzenlose Traurigkeit in ihrer Stimme und ihren Anblick nicht länger ertragen. Zitternd erhob er sich, stapfte auf sie zu und holte mit seiner Axt Schwung. Als ihr abgetrennter Kopf in die Trümmer des Hauses rollte,
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