Diebin der Nacht
Unterschrift.«
»Ausgerechnet der«, bemerkte Sheridan, wobei sein zynischer Ton bewirkte, dass Rafe seine Fäuste auf den Armlehnen zusammenballte. Mysteres flehender Blick beruhigte ihn jedoch wieder, und Rafe konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen, nachdem er wahrscheinlich erkannte, dass das genau der Ton gewesen wäre, den er selbst unter solchen Umständen benutzt hätte.
Sheridan nahm den Brief entgegen und sagte die nächsten zwei oder drei Minuten nichts. Da er sich beim Lesen darüber beugte, konnte man sein Gesicht nicht sehen. Um mehr Licht auf den Brief zu werfen, kippte er die bronzene Lampe auf seinem Schreibtisch etwa zur Seite, was deren facettierte Prismen zum Klingeln brachte. Mystere beobachtete Sheridan mit wachsender Sorge.
Schließlich schaute er von dem Brief auf und sah sich ihr Gesicht so genau an, als wäre er beauftragt worden, ein Abbild davon zu modellieren. Seine haselnussbraunen Augen schienen ungewöhnlich dunkel und voller Zorn.
»Natürlich könnten Sie auch der weiblichen Seite ähneln«, bemerkte er, als würde er laut denken. »Ich bin Maureen nie begegnet und habe nie ein Bildnis von ihr gesehen. Offen gesagt sind Sie für eine Sheridan ein wenig zu klassisch gebaut. Mara ist ein Beweis dafür, dass wir unsere weiblichen Schönheiten haben, jedoch keine von Ihrer Art.«
»Für eine Sheridan?«, wiederholte sie unsicher.
Sein Tonfall wurde unerwartet gefühlvoll. »Diesen Brief habe ich an meinen Cousin Brendan geschrieben - vor mehr als zwanzig Jahren, als ich gerade begonnen hatte, mein Vermögen zu machen.«
»Dann war mein Vater also ein Sheridan«, wiederholte sie, während sie zuerst Rafe anschaute und ihr Blick dann für einen Moment zum Fenster glitt. »Oh, Gott sei dank, endlich weiß ich es«, fügte sie murmelnd hinzu, da sie plötzlich von Gefühlen übermannt wurde. Schock, Verwunderung, Freude, alles spülte wie eine Flut über sie hinweg, als hätte jemand die Schleusentore geöffnet. »Ich bin jemand. B ram, ist jemand,« sagte sie weinend und wünschte von ganzem Herzen, dass Bram an ihrer Seite wäre und das Glück mit ihr teilen könnte, von dem sie nun wusste, dass es ihr sicher war.
»Brendans Mutter war eine Sheridan«, erklärte er. »Aber natürlich änderte sich ihr Name mit ihrer Heirat. Meiner tat das nicht, da mein Vater ein Sheridan war. Sie müssen mir lediglich Ihren Nachnamen sagen, um zu beweisen, dass Sie Brendans Mädchen sind.«
»Sie wissen doch, dass sie das nicht kann«, vermittelte Rafe. »Das hat Sie Ihnen doch schon gesagt, als Sie sie anriefen.«
Sheridan nickte langsam. »Das weiß ich. Aber wenn Verwandtschaftsansprüche im Spiel sind, werde ich nichts einfach nur annehmen. Sie müssen mir schon beweisen, dass Cousin Brendan wirklich Ihr Vater war. Wenn Sie das beweisen können, so werden ich Sie zu einer Sheridan machen, mit allen Rechten, die Ihr Name Ihnen einräumt.«
»Nun hören Sie mal, Sheridan«, protestierte Rafe. »Ich verstehe eine solche Skepsis ja bei den anderen Forderungen, mit denen Sie zu tun hatten. Aber Sie haben doch gerade zugegeben, diesen Brief geschrieben zu haben. Mit Sicherheit ist das in den anderen Fällen nicht so gewesen, oder?«
»Nein, na und? Ich habe aber absolut keine Ahnung, wie dieser Brief in den Besitz Ihrer Frau gekommen ist.«
»Doch, das haben Sie«, wandte Rafe ein. »Das Wort ihrer Mutter, das sie ihr und ihrem Bruder gegeben hatte. Aber ich nehme an, Sie wollen damit andeuten, dass Mystere ihn gestohlen haben könnte; zweifelsohne, um an Ihr gewaltiges Vermögen ranzukommen.«
»Sie würden vielleicht weniger verächtlich klingen«, tadelte Sheridan ihn, »wenn Sie die tatsächliche Höhe dieses gewaltigen Vermögens kennen würden, Mr. Belloch.«
»Sehen Sie, ich bin wirklich beeindruckt von Ihnen. Jeder, der irgendetwas in dieser Stadt zu sagen hat, weiß, dass Sie prall gefüllte Lagerhäuser in der Pearl Street besitzen und dass Sie mit Ihrem Vermögen ganze Nationen kaufen könnten. Aber lassen Sie uns offen sein: Das kann ich mit meinem auch. Meine Frau braucht keine zwei Vermögen - was sie braucht, ist eine Familie.«
Erneut setzte Sheridan dieses kalte Lächeln auf. »Sie mag sehr wohl die Wahrheit sagen - das heißt, so weit sie sie kennt. Ich habe jedoch keine Möglichkeit nachzuprüfen, wer ihr diesen Brief gegeben hat oder wie diese Person in seinen Besitz gekommen ist. Wenn sie mir wenigstens ihren Nachnamen sagen könnte, so wäre ich sehr viel
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