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Diebin der Zeit

Diebin der Zeit

Titel: Diebin der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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einem dunklen Kellerloch aufgewachsen, ohne Kontakt zur Außenwelt. Aber die Liebe der Großmutter hatte ihnen die Kraft gegeben, diese Zeit der Gefangenschaft zu überstehen.
    Die Frau war gestorben, als der Zweiköpfige acht Jahre alt wurde, und von da an hatte das Dasein für ihn aus purem Überlebenskampf bestanden. Durch Diebstähle und kleinere Überfälle im Schutz der Nacht hatten sich Eucharius und sein untrennbar mit ihm verbundener Bruder durchs Leben geschlagen. Mit der Zeit hatten sie sich die Schläue verfolgter Tiere angeeignet. Auch wenn die Verlockung mitunter groß gewesen war, hatten sie sich nie zu grausamen Untaten hinreißen lassen.
    Der Dieb eines Brotes oder eines Schinkens wurde nicht über die Grenzen einer Stadt hinaus verfolgt - bei Mördern und anderen Unholden kannte man jedoch kein Pardon. Deshalb - nur deshalb und nicht etwa, weil sie um der eigenen Existenz willen nicht vielleicht doch auch über das Wohl und Wehe anderer hinweggesehen hätten - hatten sie bislang keine wirklich unentschuldbaren Vergehen auf dem Kerbholz.
    Im Alter von zwölf waren sie - im gleichen Jahr wie Lydia - dann auf RÖSSLINS WANDERSCHAU gestoßen, und seither bereicherten sie dieses Sammelsurium von Kuriositäten als »der Knabe mit den zweyen Heuptern«, ebenso wie die Frau, deren Haut von Geburt an so dünn und durchsichtig war, daß es für den Betrachter aussehen mußte, als besäße sie überhaupt keine. Ansonsten aber, was ihre Figur und vor allem auch ihre Augen anging (Eucharius krümmte sich innerlich), übertraf sie fast jede Frau, die ihre Wege auf all den Stationen gekreuzt hatte, um ein Vielfaches. Was sie allerdings an einem Monstrum fand, das sich einen Körper mit zwei grundverschiedenen Charakteren teilte, darüber rätselten nicht nur Hermes/Eucharius selbst, sondern fast jedes Mitglied der Rößlinschen Wanderschau.
    Lydia hörte unversehens im Erzählen auf, weil der Wagen ruckartig zum Stehen kam. Berthold, der vorn auf dem Kutschbock saß, mußte aus unerfindlichem Grund plötzlich die Zügel angezogen haben.
    »Dieser Hammel!« fluchte Hermes, während Lydia bereits schnell und behende wie eine Katze hinten aus dem Wagen hinaushuschte.
    Der Zweiköpfige richtete sich auf, kletterte nach vorn zu Berthold, teilte das Tuch, das den Akrobaten von den Geschehnissen im Wa-geninnern ferngehalten hatte, und rief: »Bist du noch bei Trost? Was fällt dir ein ...?«
    Berthold lächelte kühl. Dann zeigte er zu dem vordersten der Wagen, die in langer Kette auf offenem Feld angehalten hatten. »Rößlin gab den Befehl«, sagte er. »Dort drüben geht etwas vor, meint er .« Der Kutscher zeigte zu einer kleinen Ansammlung von Gebäuden, die nordwestlich von ihnen zu erkennen war.
    Nicht nur Hermes, auch Eucharius folgte dem ausgestreckten Arm des Akrobaten voller Mißmut.
    »Was soll dort sein?«
    Berthold zuckte die Schultern. Er war nicht mißgestaltet, sondern beherrschte im Gegenteil seinen athletischen Körper nahezu perfekt. Während der Vorstellungen bot er die unglaublichsten Kunststücke. »Ich weiß es nicht. Doch ab und zu trägt der Wind schaurige Schreie heran, und -«
    Er wollte mehr sagen, aber er kam nicht dazu, denn aus der Richtung des Gehöfts rauschte etwas pfeilschnell auf sie zu. Etwas Geflügeltes, das rasch größer wurde und - kaum daß es den Wagenzug erreicht hatte - wie ein Stein vom Himmel fiel .
    Hermes faßte sich als erster. Er sprang vom Kutschbock und rief: »Nur eine verdammte Fledermaus, mehr nicht! Ich werde ihr den Hals umdrehen und sie mir am Spieß braten ...!«
    Mit diesen Worten rannte er los, und wie üblich zwang er Eucharius, ihn zu begleiten .
    * Ravaillac hörte und spürte seine Kinder sterben. Sehen konnte er es nicht. So wenig wie das, was sie umbrachte - was ihn lange davor mit Blindheit geschlagen und seine Zunge herausgerissen hatte.
    Hilflos wälzte sich Ravaillac am Boden, erschüttert von rasch aufeinanderfolgenden Todesimpulsen. Er hatte Ruennes Stimme er-kannt, als sie nach ihm rief. Aber niemand war bis zu ihm gekommen, um seinen hoffnungslos erschöpften, ausgelaugten Körper zu stützen oder ihm auf andere Weise zu helfen.
    Niemand.
    Was habe ich zu ihnen gebracht? dachte er. Was besiegt sie alle?
    Seine Gedanken schweiften auch zu Racoon, seinem Liebling. Von ihm hörte er weder Worte noch Schreie.
    Und dann - verstummten auch die anderen seiner Kinder, und die teuflische Dirne, die nie von ihm abgelassen hatte, widmete sich nun ganz

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