DIESES MAL IST ALLES ANDERS
Finanzkrisen kommen. Eine vollständige Absicherung gegen Krisen ist weder machbar noch wünschenswert. (Genau dieses Rätsel wird die globale Finanzgemeinde nach der jüngsten Finanzkrise zu lösen haben, in der die Kreditkapazitäten des IWF als Antwort auf die Krise vervierfacht und die Kreditkonditionen gleichzeitig erheblich gelockert wurden.)
Was sagt die Wirtschaftstheorie über die Anfälligkeit der Länder für Finanzkrisen? Der Präzision zuliebe wollen wir uns zunächst auf Regierungen als Hauptverursacher der in diesem Buch untersuchten Krisen konzentrieren. Die Wirtschaftstheorie sagt uns, dass eine Regierung, die entsprechend sparsam haushaltet, nicht sonderlich von Vertrauenskrisen bedroht ist. Eine Regierung, die kontinuierlich Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet (das Ergebnis, wenn die Steuereinnahmen höher sind als die Staatsausgaben), muss sich keine großen Gedanken über Schuldenkrisen machen. Sie kann ihre Schulden auf einem relativ niedrigen Niveau halten, leiht sich zumeist längerfristig Geld aus (über eine Laufzeit von zehn oder mehr Jahren) und hat kaum versteckte etatfremde Garantieverpflichtungen.
Wenn eine Regierung dagegen Jahr für Jahr hohe Defizite anhäuft und hauptsächlich kurzfristige Schulden aufnimmt (mit einer Laufzeit von einem Jahr oder kürzer), dann macht sie sich verwundbar, möglicherweise selbst bei einem Schuldenniveau, das eigentlich ohne Weiteres tragfähig sein sollte. Eine unverantwortliche Regierung könnte natürlich versuchen, ihre Verwundbarkeit durch die Emission umfangreicher langfristiger Staatsanleihen zu verringern. Die Märkte würden das wahrscheinlich aber sehr schnell erkennen und auf jede langfristige Anleihe extrem hohe Zinsen erheben. Tatsächlich liegt einer der Hauptgründe für die Entscheidung einiger Regierungen, kurzfristige Anleihen zu emittieren, anstatt langfristige Schulden aufzunehmen, darin, dass sie von niedrigeren Zinsen profitieren können, solange das Vertrauen gewahrt bleibt.
Die Wirtschaftstheorie besagt, dass es gerade die launische Natur des Vertrauens ist, einschließlich seiner Abhängigkeit von der öffentlichen Erwartung über zukünftige Ereignisse, welche die Vorhersage von Schuldenkrisen so schwer macht. Eine hohe Verschuldung führt in zahlreichen wirtschaftswissenschaftlichen Modellen zu »multiplen Gleichgewichten«, in denen das Schuldenniveau tragfähig bleiben könnte – oder auch nicht. 2 Ökonomen haben keine sehr genaue Vorstellung darüber, welche Ereignisse Einfluss auf das Vertrauen haben und wie sich die Verwundbarkeit des Vertrauens konkret einschätzen lässt. In der Geschichte der Finanzkrisen kann man immer wieder feststellen, dass ein Ereignis, das sich am Horizont erahnen lässt, irgendwann auch eintreten wird. Wenn Länder sich zu hoch verschulden, dann sind Probleme programmiert. Wenn schuldenfinanzierte Assetpreisexplosionen zu schön erscheinen, um wahr zu sein, dann sind sie das wahrscheinlich auch. Der genaue Zeitpunkt einer Krise lässt sich jedoch nur schwer vorhersagen. Wobei eine Krise, die kurz bevorzustehen scheint, manchmal erst Jahre später ausbricht. Das war Ende der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts in den USA gewiss der Fall. Wie wir in Kapitel 13 zeigen werden, standen im Vorfeld der Krise bereits alle Alarmsignale auf Rot. Dennoch beharrten viele führende Finanzexperten der USA – und auch viele Wissenschaftler – bis zum Ausbrechen der Krise auf ihrer Überzeugung: »Dieses Mal ist alles anders.«
Wir legen Wert auf die Feststellung, dass sich unsere Warnung vor einer Anhäufung exzessiver Schulden und dem Einsatz zu großer Hebel auf Regierungsebene von den Warnungen der traditionell zitierten Literatur Buchanans und anderer unterscheidet. 3 Die traditionelle Literatur über Staatsfinanzen warnt vor der Kurzsichtigkeit von Regierungen in Bezug auf hohe Steuerdefizite und ihr chronisches Versäumnis, die langfristige Belastung richtig einzuschätzen, die der Schuldendienst der Bevölkerung aufbürdet. Tatsächlich verursachen hohe Schuldenberge oft gerade auf kurze Sicht Probleme, weil Investoren möglicherweise Zweifel an der Bereitschaft des Schuldnerlandes hegen, seine Schulden langfristig zu finanzieren. Die Verwundbarkeit aufgrund von Schulden kann ein genauso großes Problem sein wie die langfristige Steuerbelastung – gelegentlich ist es sogar noch größer.
Ähnliche Probleme entstehen in anderen Krisenkontexten, die wir in diesem Buch ebenfalls beleuchten
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