Dinner for One auf der Titanic
hatte.
So viel Kraft und Schönheit hatten ihren Preis. Unerschwinglich wäre die Passage gewesen, und so war James kurz entschlossen in die Dienste dieser wunderlichen Miss Sophie getreten. Und jetzt stand er hier am Kai. Er, James McMullen. Bereit zur Abfahrt. Auf der Zunge spürte er sie, die Freiheit. Sie schmeckte ein wenig nach Minze. Und nach Farbe. Und natürlich nach Salz. Er hatte alles, was zu einer glänzenden Karriere gehörte. Vor allem Fleiß und Disziplin. Hatte er nicht tagaus, tagein in Pinchtons Garage stinkendes Benzin in diese neuen Blechdroschken gefüllt? Sicher, es war hektisch zugegangen. Manchmal kamen bis zu zehn Autos. An einem Tag! Kein Wunder, dass ihm bei der Hetze dieser verhängnisvolle Fehler mit dem Rolls Royce passiert war. Wie sollte er den ahnen, dass die Einfüllstutzen für Öl und für Benzin gleich nebeneinanderlagen? War er Hellseher? Und schließlich hatte er doch gleich geholfen, das Auto zur Seite zu schieben.
Und dann das kleine Missgeschick mit seinem Erbe, nun ja. Das Häuschen, das seine Mutter ihm vermacht hatte. »Glamorous Star« hieß dieser verdammte Gaul, auf den er alles, was er flüssig hatte, und die Besitzurkunde des Häuschens gesetzt hatte. Ein todsicherer Tipp. Und dann war der verdammte Gaul als Vorletzter über die Ziellinie gehumpelt. Doch ist die Nacht am dunkelsten, ist auch der Morgen nicht mehr weit.
Aus Mitgefühl hatte man ihm auf der Rennbahn von Ascot eine Arbeit angeboten. Monatelang war er in verantwortlicher Position als Lochzutreter nach jedem Rennen über das Geläuf marschiert. Löcher füllen und die Pferdeäpfel in einen Eimer schaufeln.
Mit Fleiß und seinem nie da gewesenen Eimerrekord hatte er sich bis zum Stallburschen hochgearbeitet. Alles hatte er für seinen Stall gegeben. So manches Rennen wäre ohne ihn, James, anders verlaufen. Immer wieder hatte er den Pferden mit einer guten Portion Kaffeesatz ordentlich auf die Beine geholfen.
Alles lief bestens, wenn nicht einer dieser verdammten Gäule noch in der Startbox einfach auf das Geläuf gekotzt hätte. Vor den Augen der königlichen Familie! Bis zum Rennstallbesitzer hätte er es bringen können. Stattdessen hatte man ihn wegen Dopings vor Gericht gezerrt.
Da hätte man schließlich auch gleich die Jockeys verurteilen müssen, die vor dem Rennen einen Kaffee tranken. Mit Mohrrübenbrei gemischt, waren die Pferde doch ganz wild auf den Kaffeesatz. Gierig hatten sie den Muntermacher-Brei ver-schlungen... Vorbei und vergessen. Nach vorne denken, hieß die Devise.
Vorn lag die Zukunft. Das andere war kalter Kaffee. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ja, an diesem Tag brach zweifellos eine dichterische Ader in ihm durch. Kein Wunder, denn Großes stand bevor.
Auf dem Kai bahnten sich hupend kleine Transportwagen den Weg zum Hauptabfertigungsschalter. Sie entluden ihre Fracht aus Koffern, Kisten, Leinensäcken und geschnürten Bündeln. Ein Gepäckträger wuchtete einen Vogelkäfig auf die Laderampe und einen gewaltigen Schrankkoffer gleich hinterher. Einuniformierter Angestellter, der die Verladearbeiten im Dienste seiner Herrschaften beobachtete, musterte besorgt einen Matrosen, der einen der Koffer auf eine kleine Lore schleuderte.
Über die gläserne Brücke schifften Passagiere sich direkt in eines der oberen Decks ein. Eine feine Dame blieb, laut um Hilfe rufend, mit ihren Schuhen in den Gleisen hängen.
»Fertig«, rief der Gepäckträger und klopfte auf das Dach des kleinen Motorwagens. Knatternd rollte der Wagen über die Pflastersteine, und der nächste Fahrer rangierte sein Gefährt mit der Ladeklappe an die Rampe.
Auch am Schalter der dritten Klasse hatte sich eine Schlange gebildet. Ein Offizier der White Star Line drückte einen gelben Aufkleber auf die ihm entgegengereichten Gepäckstücke und gab den Wartenden einen zweiten Schein mit einer großen schwarzen Ziffer zurück.
Mit ängstlichem Gesichtsausdruck blickte eine junge Frau, die sich ganz in ihre grobe Strickjacke zurückgezogen hatte, zum Schiffskörper der Titanic auf. James konnte erkennen, dass sie ungläubig den Kopf schüttelte.
Obwohl mitten in der Woche, hatten Hunderte von Schaulustigen aus Southampton und Umgebung die Abfahrt dieses schnellsten und schönsten Passagierschiffes der Welt zum Anlass für einen Ausflug genommen. Ein Vater mit zwei Kindern zählte seinem auf den Schultern sitzenden Sohn die vier unter Dampf stehenden Schornsteine vor und deutete auf das Brückenhaus.
»Wohnt da der
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