Dinner for One auf der Titanic
Auswanderern steckte? Zu den abgerissenen Individuen, die es von Gott weiß woher zuerst an Britannien Gestade gespült hatte, und die es nun in die Neue Welt trieb?
Aber nein, er wollte sich nicht aufregen. Das lohnte nicht. In ein paar Tagen würden sie in New York festmachen, und dann begann ein neues Leben.
James lehnte seinen Oberkörper gegen die Wand eines Schuppens. Noch einmal festen Boden unter den Füßen spüren. Er drückte die Sohlen fest auf das Kopfsteinpflaster und bewegte seine Zehen. Es erschien ihm, als entfernten sich in dieser sanften Wärme langsam der Pier und all die hektischen Rufe. Als schaukle er hinaus auf das weite, weite Meer.
James fühlte sich um Jahrzehnte zurückversetzt. Er lag wieder in einer Wiege, umsorgt und umhegt.
Von ferne drang Tuten und Rufen an sein Ohr. Die Welt bewegte sich, und mitten in dieser Welt saß er. Ein Schrei zerrte an ihm und wurde lauter und lauter. Nur ungern verließ James dieses gütige Reich des Halbschlummers.
»Sie ist frei«, schrie ein Mann.
»Zum Ruhme Englands, gute Fahrt!«
James brauchte ein paar Sekunden, bis sich seine Augen an das Sonnenlicht gewöhnt hatten. Er blinzelte in die Richtung, aus der die Stimmen kamen. Ein Angestellter der White Star Linie hielt ein Tau in der Hand. Die letzte Verbindung der Titanic mit dem Festland. Um Gotteswillen!
Das Horn stieß ein mächtiges Tuten aus. Die Schiffsschrauben durchpflügten das Hafenwasser, Gischt spritzte auf den Kai. In der Menge wurden Hüte in die Luft geworfen. Ein Orchester spielte »God save the King«.
James rannte zum Poller, an dem der Passagierdampfer eben noch vertäut gewesen war. Entsetzt blickte er ihm hinterher. Die Heckflagge winkte ihm fröhlich zu. Das Tau klatschte ins Wasser und folgte schlängelnd dem Schiffsleib.
Die Titanic dampfte der Zukunft entgegen.
»Anhalten, sofort anhalten!«, schrie James verzweifelt.
Fürst Andrej Balgakov
Jessup Finch-Meyers blickte durch ein Fenster in das Innere der Kommandobrücke. Zwei Offiziere suchten mit ihren Ferngläsern den Horizont ab. Hinter ihnen schritt Kapitän Edward J. Smith mit auf dem Rücken verschränkten Armen die Fensterfront ab.
Wippend blieb er stehen und klopfte auf das Glas einer runden Anzeige. Vor dem Kreiselkompass hielt er ebenfalls inne und zog ein weißes Taschentuch aus der Hose. Er beugte sich näher heran und begann, die bronzene Umrahmung des Kompasses zu wienern.
»Verdammte Sauerei«, sagte er. »Wo bleibt dieser Sohn einer ...«
Finch-Meyers klopfte gegen die Tür zur Brücke. Der Kapitän fuhr herum.
»Sind wir hier in einem Puff oder auf einem Schiff?«
Jessup Finch-Meyers sah ihn erstaunt an.
»Entschuldigen Sie, Sir, aber ich dachte ...«
»Auf der Brücke klopft nur der Klabautermann oder der Kapitän. Na, immer rein in die gute Stube, Mr. Inch ... Inch ...?«
»Finch-Meyers.«
»Richtig. Apropos Puff, Sie werden mich in dieser Hinsicht doch nicht überraschen wollen, nicht wahr?«
»Bitte?«
Der Kapitän brüllte vor Lachen.
»Ein Scherz, schon gut, schon gut. Ah, da haben wir ja auch die reizende Miss Sterlingtree.«
Smith eilte an ihm vorbei und streckte einer jungen stämmigen Dame seine Hand entgegen, der die Röte ins Gesicht schoss. Finch-Meyers erschien sie ein wenig linkisch. Aber vielleicht lag das auch an ihrem weiten grünlichen Kleid und den weißen Socken, die einfach nicht zusammenpassten. Oder der Art, wie sie die Hand vorschnellen ließ und wieder zurückzog.
Kein Wunder, dass sie eingeschüchtert war. Dieser Kapitän benahm sich ungehobelt wie der Wirt einer Hafenkaschemme. Aber er war ja gewarnt worden. Andererseits hatte er sich nun einmal für diese Arbeit entschieden. Gott selbst hatte ihn auf diesen Platz gestellt. Außerdem war es viel zu spät für einen Rückzieher. Der Vertrag war unterschrieben, und außerdem waren sie auf hoher See. So hieß das wohl unter Seeleuten.
Kapitän Smith klopfte sich unsichtbare Staubfussel von der schneeweißen Uniformjacke. Sein von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht wirkte ledern. Trotzdem strahlten seine blauen Augen etwas Jugendliches aus.
Dieser Kapitän war trotz seines gesetzten Alters ein Schönling, soviel stand für Finch-Meyers fest. Und auch, dass unzählige Frauen auf so einen Mann in schmucker Uniform flogen. Was die an Uniformen fanden, war ihm unbegreiflich.
Frauen, sie waren für ihn ohnehin immer eine leere Seite in Gottes Schöpfungsbuch geblieben. Eine andere Welt. Nie hatte er sich um sie
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