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Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition)

Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition)

Titel: Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garry Disher
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einen oder anderen Stelle, wo ein steter Wasserlauf den Weg zerschnitt, war er gezwungen, seine Füße vorsichtig über Abschwemmungen oder Inseln schwarzen Schlamms zu setzen. Eigentlich erzeugte das Wasser, das über bemooste Steine und durch die ausgewaschenen Rinnen des Berghangs floss, ein regelmäßiges Geräusch.
    In den letzten Tagen jedoch hatte Le Page auf Geräusche geachtet, die nicht typisch waren für die Gegend. Auch heute achtete er darauf, vernahm aber nur das Wasser, das Zirpen der Insekten und das Brummen der widerlichen Schmeißfliegen, in der Ferne das Gebimmel, das die Bewegungen der Schafe auf den Wiesen oberhalb, unterhalb und gegenüber seines Wanderpfades anzeigte. Als sei die Zeit hier stehen geblieben. Die Bourgeoisie von Toulouse verwandelte die alten Scheunen aus Feldsteinen und die Bauernhäuser in Domizile fürs Wochenende, ein Zuhause weg vom Zuhause, und fand sich neben Schäfern wieder, die nie geheiratet, nie die Bergtäler verlassen hatten, sondern ihre kleinen Herden hüteten, unter dem Regiment der Jahreszeiten standen und unter dem der Lebensweise ihrer Vorväter.
    Le Page wehrte einen Schmetterling ab und stieg über zwei pechschwarze Nacktschnecken. Er hatte das Ende seines Pfades erreicht. Rechts wand sich eine unbefestigte Straße hinauf zu einigen Gehöften von Bergbauern und den steilen Pfaden oberhalb der Schneegrenze. Er war nur selten geneigt, diese Richtung einzuschlagen, da ihn dieser Weg aus der Zivilisation entführte. Die Zivilisation bedeutete Le Page nur wenig, doch sie war der Drill für Geist und Sinne und deshalb entschied er sich für den linken Abzweig, der sich hinunterschlängelte bis zu einer schmalen, asphaltierten Straße, die Bauernhöfe und Ortschaften miteinander verband. Der Baumbestand reduzierte sich auf einige wenige Haine aus Grau- und Hängebirken, während rechts und links der Straße Gras, Nesselgewächse und Brombeersträucher wuchsen. Im Gewirr der Zweige hingen die letzten Beeren und Le Page machte halt, um einige davon zu pflücken und zu essen. Niemand verirrte sich wegen dieser Beeren hierher; Einheimische und Touristen pflückten die am Wanderweg, der hinter der Kreuzung lag. Dieser Wanderweg zog sich wie eine geschwungene Inschrift über das grün schimmernde Weideland oberhalb der Taldörfer und des Ackerlands. Hier begegneten einem beherzt ausschreitende Wanderer, alte Männer auf ihrem Spaziergang und Paare mittleren Alters beim Beerenpflücken, die ihre kleinen Renaults und Citroëns irgendwo weiter unten abgestellt hatten. Es konnten einem auch Schafe begegnen und schweigsame alte Schäfer. Früher wäre man auf Schmuggler getroffen, die die Grenze zu Spanien in beiden Richtungen passierten, und während des Zweiten Weltkrieges auf Mitglieder der Resistance, die Piloten der Alliierten über die Pyrenäen führten.
    Le Page blieb an der Kreuzung stehen, um Atem zu schöpfen. Auf einer Anhöhe in der Ferne konnte er den Flecken seines Hauses ausmachen, sein Dach, das die Herbstsonne reflektierte. Bald — binnen weniger Wochen — würde es mit Schnee bedeckt sein. Der Schnee würde sich sammeln, bis die steile Neigung des Daches die Schwerkraft dazu anstacheln würde, ihre Aufgabe zu verrichten. Er warf einen Blick in die andere Richtung, die Straße hinunter, die sich in ein kleines Tal stürzte, in dessen Sohle sich eine Ortschaft befand, die die nahegelegenen Bauernhöfe versorgte, wo Gesinde Silofutter umschichtete und das Vieh versorgte. Le Page hatte weder Interesse an ihnen noch an ihren Traditionen.
    Er machte sich wieder auf den Weg, blieb irgendwann stehen, um in seinen Briefkasten zu schauen, in den zweiten von rechts in einer Reihe anderer Briefkästen, die den Hausbesitzern gehörten, die entlang der hinteren Straßen wohnten, wo der Postbote nicht verpflichtet war, vorbeizufahren. Es lag eine Sendung drinnen, ein Geschäftsbrief. Er riss ihn auf. Seine Dienste als Kurier für Levine & Levine — Genf, London, New York — wurden nicht länger benötigt. Es hatte bereits anderer dieser Briefe gegeben, von anderen aalglatten Firmen, und Le Page wusste, dass seine Verbindung mit Alexander sich herumgesprochen hatte. Aber er besaß die Wertpapiere, er war nicht angewiesen auf Levine & Levine. Sein Leben würde in eine neue Phase eintreten — wenn er erst einmal mit diesem Mann namens Wyatt abgerechnet hatte.
    Eine Frage der Ehre. Wyatt hatte versucht, ihn zu bestehlen. Wyatt hatte seinen Coup in Australien vereitelt.

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