Diva (DE)
neuen Mordanschläge zu übersehen. Sie habe noch ein weiteres Schlusskapitel gefunden, einen siebten Entwurf für das Finale von Sklave der Liebe . »Wie es aussieht, soll ich demnächst von einem Einbrecher erschossen werden«, sagt sie, »den ich bei mir zu Hause überrasche.«
Aber nun habe sie endlich zum Gegenschlag ausgeholt: Sie habe dieses neueste Schlusskapitel in einen versiegelten Umschlag gesteckt und ihrem Anwalt geschickt, mit der Anweisung, er solle das lesen, falls sie plötzlich und unter verdächtigen Umständen sterben sollte. Danach habe sie Webster von ihrer Maßnahme informiert. Der habe natürlich alles abgestritten und wütend behauptet, niemals ein solches Buch geschrieben zu haben. Er empfinde nichts als Liebe für sie und habe nicht die Absicht, ihr irgendwelchen Schaden zuzufügen. »Aber genau das«, sagt Miss Kathie, »habe ich von diesem Halunken erwartet.«
Falls also Miss Kathie von einem Bus überrollt wird, mit einem elektrischen Radio in die Wanne steigt, sich selbst an Grizzlybären verfüttert, von einem hohen Gebäude stürzt, ihr Herz um den spitzen Dolch eines Mörders wickelt oder Zyankali zu sich nimmt – wird Webster Carlton Westward III keine Chance haben, seine schreckliche »Lügographie« zu veröffentlichen. Ihre Anwälte werden sein Komplott aufdecken. Und Webster wird nicht auf die Bestsellerliste kommen, sondern auf den elektrischen Stuhl.
Unterdessen schneide ich mit dem spitzen Diamanten Miss Kathies neue graue Haare in den Spiegel. Ihre neuen Leberflecken.
»Jetzt dürfte ich«, sagt Miss Kathie, »vor mörderischen Einbrechern sicher sein.«
Unter dem Druck des Diamanten biegt und wellt sich der Spiegel und verzerrt das Abbild meiner Miss Kathie. Das Glas, kreuz und quer mit so vielen Falten und Narben überzogen, macht einen sehr zerbrechlichen Eindruck.
Miss Kathie prostet mit Champagner ihrem Spiegelbild zu und sagt: »Als Höchststrafe habe ich Webb gezwungen, mich zu heiraten …«
Der Möchtegernmörder ist jetzt nicht nur ihr Vollzeit-Liebessklave, sondern muss auch noch bei ihr wohnen.
Das Prachtstück mit den hellbraunen Augen muss alles tun, was sie von ihm verlangt, ihre Sachen von der Reinigung abholen, sie chauffieren, ihr Bad schrubben, Besorgungen machen, das Geschirr abwaschen, ihr die Füße massieren und spezielle oral-genitale Dienste leisten, die Miss Kathie für nötig erachtet, bis dass der Tod sie scheidet. Und selbst dann sollte es besser nicht ihr Tod sein, denn in diesem Fall wird Webster höchstwahrscheinlich ins Gefängnis wandern.
»Aber um ganz sicherzugehen …«, sagt sie und bückt sich, um etwas aus der Nische zu nehmen. Zwischen den alten Pillenflaschen und abgelaufenen Kosmetika und Kontrazeptiva schließt Miss Kathies Hand sich um etwas und lässt es in der Tasche ihres Pelzmantels verschwinden. Sie sagt: »Nur für alle Fälle …« und steckt diesen neuen, mit roten Rostflecken und bläulichen Ölschlieren bedeckten Gegenstand in ihre Manteltasche.
Es ist ein Revolver.
3. AKT, VIERTE SZENE
Hier blenden wir über zu einer weiteren Rückblende. Betrachten wir das Besetzungsbüro von Monogram Pictures oder der Selig-Studios an der Gower Street , die man damals »Straße der Armen« nannte, oder vielleicht die alten Central-Casting -Büros am Sunset Boulevard , wo sich Tag für Tag Scharen von hoffnungsvollen Möchtegernschauspielerinnen herumtreiben. Diese schönsten Mädchen aus aller Welt, gekürt zur Maiskolbenkönigin oder Kirschblütenprinzessin . Eine ehemals amtierende Miss Winter-Karneval , eine Miss Meeresfrüchte . Ein Pantheon mythischer Göttinnen in Fleisch und Blut. Miss Jitterbug . Eine Völkerwanderung von Schönheiten, alle im Wettstreit um Ruhm und Glanz. Unter ihnen lenken zwei Mädchen unsere Blicke auf sich. Die eine hat zu nah beieinanderstehende Augen, die Nase ist größer als das Kinn, der Kopf sitzt ohne den Anflug eines Halses direkt auf ihrem Rumpf.
Die zweite junge Frau, die sich da im Besetzungsbüro die Beine in den Bauch steht… ihre Augen leuchten im hellsten Amethystviolett. In einem schier übernatürlichen Veilchenblau.
In dieser Rückblende beobachten wir die hässliche junge Frau, die unattraktive Frau, wie sie die reizende Frau beobachtet. Die unschöne junge Frau, die Schultern schief, grobe Knöchel und zerkaute Fingernägel an den schlappen Händen, belauert die junge Frau mit den veilchenblauen Augen. Noch wichtiger: Die Hässliche beobachtet, wie die
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