Diva (DE)
Hellman Wasser zu Wein. Sie heilt die Aussätzigen. Sie spinnt schmutziges Stroh zu reinstem Gold.
Als meine Miss Kathie ihren Redestrom unterbricht, um Luft zu holen, sage ich, sie soll sich nicht lächerlich machen. Sie sei auf dem falschen Dampfer. Webster und ich hätten nicht vor, sie zu ermorden.
»Und wie erklärst du dann das?«, sagt sie und hält mir den Papierstoß hin. Auf jeder Seite oben die Kopfzeile mit dem Titel. Da steht: Das Idol: Eine Autobiographie . Verfasst von Katherine Kenton . Herausgegeben von Hazie Coogan . Sie schüttelt den Kopf und sagt: »Ich habe das nicht geschrieben. Ich habe es unter deiner Matratze versteckt gefunden …«
Die Geschichte ihres Lebens. In ihrem Namen geschrieben. Von jemand anderem.
Sie schlägt die Titelseite um und sieht mich an, ihre veilchenblauen Augen zucken hin und her zwischen mir und dem Manuskript in ihrer Hand. Ihr rosa Morgenmantel zittert. Die schwarze Skimaske starrt vom Küchentisch die Decke an. »›Kapitel eins‹«, liest meine Miss Kathie vor, »›Mein Leben begann im wahrsten Sinn an jenem glorreichen Tag, an dem ich meine über alles geliebte Freundin Hazie Coogan kennenlernte …‹«
3. AKT, SECHSTE SZENE
Als akustische Überleitung hören wir noch Katherine Kenton aus dem Manuskript von Das Idol vorlesen: »›… jenem glorreichen Tag, an dem ich meine über alles geliebte Freundin Hazie Coogan kennenlernte …‹«
Wieder sehen wir die zwei Mädchen aus dem Besetzungsbüro. In einer Weichzeichner-Montage aus schnellen Schnitten kämmt die Hässliche das lange kastanienbraune Haar der Hübschen. Die Hässliche bringt die Fingernägel der Hübschen mit einer Feile in Form und bestreicht sie mit rosa Nagellack. Als die Hässliche die Lippen spitzt, um die lackierten Nägel trocken zu pusten, sieht es aus, als wolle sie der Hübschen einen Handkuss geben.
Miss Kathies Filmstar-Stimme fährt fort: »›… lebten und spielten zusammen, vergnügt inmitten der Scharen unserer Bewunderer … ‹«
Dazu sehen wir das Mädchen mit den Knopfaugen und der Hakennase die Brauen über den veilchenblauen Augen zupfen. Die Hässliche geht in die Knie und schabt mit einem Bimsstein die Hornhaut von den Fersen der Hübschen. Mit den kräftigen Bewegungen einer Putzfrau schrubbt die Hässliche den nackten Rücken der Hübschen mit Meeressalz und Muskelschmalz.
Aus dem Off liest meine Kathie weiter vor: »›… lebten und spielten zusammen, arbeiteten fast rund um die Uhr. Hazie und ich ermunterten uns gegenseitig in diesem festlichen Unterfangen, das wir so unbekümmert unser Leben nannten …‹« Sie liest: »›Wir lebten wie Schwestern und teilten sogar unsere Garderobe, Kleider, Schuhe und Unterwäsche, ganz wie es uns beliebte …‹«
Die Montage zeigt die Hässliche schwitzend über einem Bügelbrett, sie glättet Rüschen und Spitzenbesatz einer Bluse und reicht sie dann der Hübschen. Die Hässliche bückt sich, greift nach einem langen Bein der Hübschen, das sich aus einer mit schillerndem Schaum randvoll gefüllten Wanne erhebt, seift es ein und rasiert es.
»›Ich habe sie auf Händen getragen‹«, liest Miss Kathie vor, »›und Hazie mich … ‹«
Auf der Leinwand bringt die Hässliche der im Bett wartenden Hübschen ein Frühstückstablett.
»›Besonders wichtig war es uns, uns gegenseitig zu verwöhnen‹«, sagt die Off-Stimme.
Auf der Leinwand läuft weiter die ironische Montage. Die Hübsche steckt sich eine Zigarette zwischen die Lippen, und die Hässliche beugt sich vor und gibt ihr Feuer. Die Hübsche wirft ein schmutziges Handtuch auf den Boden, und die Hässliche hebt es auf und legt es in den Wäschekorb. Die Hübsche räkelt sich in einem Sessel und liest ein Drehbuch, während die Hässliche um sie herum den Teppich saugt.
Die Stimme von Miss Kathie liest: »›Und als all unsere Anstrengungen schließlich Früchte trugen, sonnten wir beide uns in Erfolg und Ruhm … ‹«
Auf der Leinwand sehen wir die Hässliche zur Frau werden, immer noch unansehnlich, aber älter, korpulenter, die Haare grau, während die Hübsche sich kaum verändert, immer noch schlank, die Haut glatt, die Haare kastanienbraun wie eh und je. In raschen Schnitten heiratet die Hübsche einen Mann, dann einen zweiten, dann einen dritten, dann einen vierten und fünften, während die hässliche Frau immer mit Koffern, Schultertaschen und Einkaufstüten beladen neben ihr steht.
Miss Kathie sagt im Off: »›Alles was ich
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