Diva (DE)

anderen Leute die Reizende beobachten. Die anderen Schauspieler scheinen hingerissen von diesen veilchenblauen Augen. Wenn die Hübsche lächelt, lächeln auch alle, die sie beobachten. Kaum haben andere sie entdeckt, richten sie sich auf und ziehen den Bauch bis zum Rückgrat ein. Diese Königinnen und Prinzessinnen und Engel halten plötzlich ihre Finger still. Nehmen dieselbe straffe Haltung in den Schultern ein. Sogar ihr Atem verlangsamt sich zum Atemrhythmus des reizenden Mädchens. Bei ihrem Anblick scheint jede zu einer kleinen Ausgabe dieser erstaunlichen jungen Frau mit den veilchenblauen Augen zu werden.
    In dieser Rückblende hat die Hässliche fast alle Hoffnung fahren lassen. Sie hat ihr Handwerk bei Constance Collier und Guthrie McClintic und Margaret Webster gelernt, und dennoch kann sie keine Arbeit finden. Die graue Maus verfügt über eine angeborene, gerissene Schläue; keine ihrer Gesten ist absichtslos oder unmotiviert. Was schauspielerische Zurückhaltung betrifft, ist die Hässliche absolut brillant. Und während sie beobachtet, wie die anderen unbewusst die Reizende nachahmen, legt sich die Hässliche einen Plan zurecht. Als mögliche Alternative dazu, selbst Schauspielerin zu werden, wäre es vielleicht ratsamer, sich mit der anderen zusammenzutun  – ihre eigene Erfahrung und Klugheit mit der Schönheit der anderen zu verbinden. Gemeinsam könnten die beiden einen unsterblichen Filmstar ergeben.
    Die graue Maus könnte die Hübsche unterrichten, ihr zu den besten Rollen verhelfen, sie vor gefährlichen Klippen und Verwicklungen in geschäftlichen und Liebesdingen bewahren. Die Garstige kann sich keiner markanten Wangenknochen oder perfekt geschwungener Lippen rühmen; und doch steckt hinter diesem faden Gesicht ein kluges Köpfchen.
    Schönheit bringt Gefälligkeiten ein und öffnet Türen, doch solch erstaunliche Augen können auch das Hirn dahinter lähmen.
    Rückwärts gezählt, war vor Webster Paco dran, vor diesem der Senator. Vor dem der schwule Tänzer. Davor der selbstmörderische Industriemagnat, aber auch der war nicht ihr erster Ehemann. Der erste »Verflossene« war ihr Schulfreund Allan … kein Nachname  – ein Niemand. Ihr zweiter war der schmierige Fotograf, der einen Schnappschuss von ihr machte und einem Besetzungschef vorlegte; soll ihn der Teufel holen. Ihr dritter Mann war ein aufstrebender Schauspieler, der jetzt Immobilien verkauft. Keiner dieser ersten drei hat eine Bedrohung dargestellt.
    Meine Stellung war zwar nie die eines Gatten oder Gemahls oder Partners, aber ich war immer etwas viel Wichtigeres.
    Oliver Drake, Esq. , war eine andere Sache. Gründer eines Stahlwerkimperiums, verfügte er allein über die Mittel, meine Miss Kathie zu heiraten und ihr ein häusliches Leben und eine Schar Kinder zu bieten, kurzum, sie zur Hausfrau zu machen … was der italienische Ausdruck für Loser ist. Eine Hausfrau à la Gene Tierney . Mit seinem Stahl kaufte er sie aus der großen Welt frei, wie Grace Kelly von der Grimaldi-Familie gekauft wurde, und ich hatte mich ganz umsonst so angestrengt.
    Jeder Ehemann bedeutete einen Schritt nach vorn in ihrer Karriere, doch Oliver Drake verhalf ihr zu einem Privatleben. Als sie sich kennenlernten, konnte Miss Kathie nicht mehr die Ingenue spielen, das ist Spanisch für Schlampe . Plötzlich war sie auf Charakterrollen beschränkt, Gastauftritte an obskuren Drehorten. Statt ruhmvoll Mrs. Der kleine Lord oder Mrs. Zauberer von Oz zu spielen, kam Miss Kathie erst an dritter Stelle als Mutter von Kapitän Ahab oder unverheiratete Tante von Johannes dem Täufer .
    An dieser schwierigen Wegscheide ihres Lebens suchte Miss Kathie nach einem Weg, der weniger Widerstand bot.
    Es war schon sehr eigennützig von ihr. Das Lebenswerk von Autoren und Regisseuren, Künstlern und Presseagenten hatte ihr den Sockel errichtet, von dem herabzusteigen sie nun sehr versucht war. Es stand Größeres auf dem Spiel als Liebe und Frieden. Das unabhängige, wegweisende Vorbild von Millionen Menschen trat von der Bühne ab. Eine Legende sollte in den Ruhestand gehen. Der offensichtliche Selbstmord des Stahlbarons konnte die gesellschaftliche Ikone erhalten.
    Es war nicht schwer, diverse Größen aus der Filmbranche dazu zu bewegen, Mr. Drakes verzweifelte Gemütsverfassung zu bezeugen. Einige der berühmtesten Namen Hollywoods schworen, Drake habe oft davon gesprochen, sein Leben mit Zyankali beenden zu wollen. Damit konnte die Filmindustrie eine