Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen
Jahre nach der Grenzöffnung. Das wolltest du doch sagen, oder?«
»Ja, wollte ich tatsächlich. Ich meine, immerhin ist unsere letzte Tour schon eine ganze Weile her. Das Land ist wiedervereint, und für Schatzsucher wie uns wird’s langsam eng.«
Gabi ging zur Kochecke und schenkte sich noch einmal nach. »Ja, unsere letzte Tour liegt mehr als ein halbes Jahr zurück. Aber die Auswertung ist erst jetzt so langsam abgeschlossen.«
»Auswertung! Was für ein hochgestochener Ausdruck für eine einfache Sache, Gabi. Alles, was du tun musstest, war doch bloß, zahlungskräftige Käufer für gestohlenes Kunstgut zu finden. Auswertung, pah!«
Gabi setzte sich wieder und stützte ihr Gesicht auf ihre Hände: »Noch so ’ne Bemerkung und ich erzähl nicht weiter.« Wieder gab sie reichlich Zucker in den Kaffee. »Also, Sina. Mit Auswertung meine ich eine Kleinigkeit mehr. Selbst als Antiquitätenhändler kann man nicht jedes Kunstwerk auf Anhieb richtig einordnen. Gut, ich kann Ramsch von echten Kostbarkeiten unterscheiden. Aber gerade bei den wirklichen Wertstücken habe ich oft keine Ahnung, was ich dafür verlangen soll. Es gibt einfach keine einschlägigen Informationen darüber, kaum Kataloge, geschweige denn Preislisten.«
»Kein Wunder. Die meisten Sachen sind längst abgeschrieben. Hat doch kaum jemand dran geglaubt, dass diese Dinger nach fast 50 Jahren noch einmal auftauchen.«
Gabi zog eine Leidensmiene. »Eben. Und deswegen hat sich erst recht keiner Gedanken darüber gemacht, was sie heute wert wären. Der Quedlinburger Domschatz zum Beispiel: Der Texaner, der ihn Jahrzehnte lang bei sich zu Hause gehütet hat, konnte den wahren Wert letztlich auch nicht genau kennen. Sonst hätte er ihn wahrscheinlich bis heute nicht rausgerückt. Und das ist nur ein Schatz, der im Krieg verloren gegangen war.«
Sina rückte ihre Tasse beiseite. »Du willst mir doch nicht etwa erzählen, dass du so was wie den Quedlinburger Domschatz unter unseren Beutestücken ausgewertet hast!«
Gabi setzte ihr Siegerlächeln auf. »Beinahe, Sina. Beinahe.«
4
Sie hatte sich fest vorgenommen, ihn nicht mitzubringen. Sie wusste genau, dass sie sich später darüber ärgern würde. Und das tat sie nun auch prompt. Seit zehn Minuten saß Gabi grübelnd über Sinas Romanentwurf. Immer wieder las sie die wenigen Zeilen, die Sina bisher geschafft hatte, mit grimmigem Ausdruck durch, schüttelte den Kopf und strich energisch auf dem Manuskript herum.
»Nein, nein, Sina. Nein, was für ein Stil!«
Sina hätte sich in den Hintern beißen können. Es war ja klar, dass Gabi ihrem Buch nichts abgewinnen würde. Aber musste sie ihre Vorbehalte so provokativ vor ihr auskosten? Immerhin hatte Sina ihr die Seiten nur gegeben, weil Gabriele einmal mehr zu einem Druckmittel gegriffen hatte. Glatte Erpressung, wie Sina meinte: Gabi wollte nur dann weiter über ihre Entdeckung berichten, wenn Sina mit dem Romanentwurf rausrückte.
»Also wirklich nicht! So kannst du die Sache nicht angehen. Außerdem …« Gabi faltete die Seiten zusammen und schob sie Sina mit missbilligendem Blick über den Tisch.
»Was außerdem?«, wollte Sina wissen.
»Außerdem kommst du in deinem Porträt ja wohl ein wenig zu gu t weg, meinst du nicht auch?«
Sina steckte die Papiere beleidigt in die Hosentasche. »Mach du’s doch besser, Gabi. Mit Meckern allein hat es jedenfalls noch niemand zu was gebracht!«
Die Ladenglocke unterbrach den Disput der beiden. Gabriele schob ihren Stuhl zurück. »Mit gedrucktem Unsinn meines Wissens auch nicht!« Sie verließ den Raum mit ausladenden Schritten.
Ein junger Mann, so um die 25, trat in den Verkaufsraum. Sehr hager, der Kleidung nach zu urteilen ein wenig heruntergekommen. Das unrasierte Gesicht und Schuhe, die mit Schuhcreme wohl seit Monaten nicht mehr in Berührung gekommen waren, besagten ein Übriges. Mit ängstlichem Blick blieb der Mann wie angewurzelt stehen, als er Gabriele aus dem Hinterzimmer kommen sah.
»Bitte, schauen Sie sich in Ruhe um«, ermunterte Gabi den Besucher zum Nähertreten. Mit zögernden Schritten bewegte sich der Unbekannte auf sie zu und sah sich dabei auffällig nervös nach allein Seiten um. Erst jetzt fiel ihr die ausgebeulte Sporttasche auf, die ihr Kunde verkrampft festhielt. Als Gabi ihn auffordernd heranwinkte, traute sich der Hagere vorsichtig zu ihrem Tresen und stellte die Tasche auf der Tischplatte ab. Mit zitternden Händen zog er einen mit alten Lappen umwickelten Gegenstand
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