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Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke.

Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke.

Titel: Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
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das Verhängnis
    Das ist das Verhängnis:
    zwischen Empfängnis
    und Leichenbegängnis
    nichts als Bedrängnis.

Begegnung mit einem Trockenplatz
    Wie sehr sich solche Plätze gleichen.
    Wie eng verwandt sie miteinander sind.
    Gestänge, Stricke, Wäsche, Klammern, Wind und sieben Büschel Gras zum Bleichen,
    bei diesem Anblick wird man wieder Kind.
    Wie gern ich mich daran erinnern lasse.
    Ich schob den Wagen. Und die Mutter zog.
    Ich knurrte, weil die Wäsche so viel wog.
    Wie hieß doch jene schmale Gasse,
    die dicht vorm Bahnhof in die Gärten bog?
    Dort war die Wiese, die ich meine,
    dort setzten wir den Korb auf eine Bank und hängten unsern ganzen Wäscheschrank auf eine kreuz und quer gezogne Leine.
    Und Wind und Wäsche führten Zank.
    Ich saß im Gras. Die Mutter ging nach Hause.
    Die Wäsche wogte wie ein weißes Zelt.
    Dann kam die Mutter mit Kaffee und Geld.
    Ich kaufte Kuchen für die Mittagspause in dieser fast geheimnisvollen Welt.
    Die Hemden zuckten hin und her,
    als wollten sie herab und mit uns essen.
    Die Sonne schien. Die Strümpfe hingen schwer.
    O, ich erinnere mich an alles sehr
    genau und will es nie vergessen.

Traum vom Gesichtertausch
    Als ich träumte, was ich jetzt erzähle, drängten Tausende durch jenes Haus.
    Und als ob es irgendwer befehle
    und das eigne Antlitz jeden quäle,
    zogen alle die Gesichter aus.
    Wie beim Umzug Bilder von den Wänden
    nahmen wir uns die Gesichter fort.
    Und dann hielten wir sie in den Händen, wie man Masken hält, wenn Feste enden.
    Aber festlich war er nicht, der Ort.
    Ohne Mund und Augen, kahl wie Schatten, griffen alle nach des Nachbarn Hand,
    bis sie wiederum Gesichter hatten.
    Schnell und schweigend ging der Tausch vonstatten.
    Jeder nahm, was er beim andern fand.
    Männer hatten plötzlich Kindermienen.
    Frauen trugen Barte im Gesicht.
    Greise lächelten wie Konkubinen.
    Und dann stürzten alle, ich mit ihnen, vor den Spiegel, doch ich sah mich nicht.
    Immer wilder wurde das Gedränge.
    Einer hatte sein Gesicht entdeckt!
    Rufend zwängte er sich durch die Menge.
    Und er trieb sein Antlitz in die Enge.
    Doch er fand es nicht. Es blieb versteckt.
    War ich jenes Kind mit langen Zöpfen?
    War ich dort die Frau mit rotem Haar?
    War ich einer von den kahlen Köpfen?
    Unter den verwechselten Geschöpfen
    sah ich keines, das ich selber war.
    Da erwachte ich vor Schreck. Mich fror.
    Irgendeiner riß mich an den Haaren.
    Finger zerrten mich an Mund und Ohr.
    Ich begriff, als ich die Angst verlor, daß es meine eignen Hände waren.

    Ganz beruhigt war ich freilich nicht.
    Trug ich Mienen, die mich nicht betrafen?
    Hastig sprang ich auf und machte Licht, lief zum Spiegel, sah mir ins Gesicht, löschte aus und ging beruhigt schlafen.

Moral
    Es gibt nichts Gutes,
    außer: man tut es!

Der Weihnachtsabend des Kellners
    Aller Welt dreht er den Rücken,
    und sein Blick geht zu Protest.
    Und dann murmelt er beim Bücken:
    »Ach, du liebes Weihnachtsfest!«
    Im Lokal sind nur zwei Kunden.
    (Fröhlich sehn die auch nicht aus.)
    Und der Kellner zählt die Stunden.
    Doch er darf noch nicht nach Haus.
    Denn vielleicht kommt doch noch einer, welcher keinen Christbaum hat,
    und allein ist wie sonst keiner
    in der feierlichen Stadt. -
    Dann schon lieber Kellner bleiben
    und zur Nacht nach Hause gehn,
    als jetzt durch die Straßen treiben
    und vor fremden Fenstern stehn!

Entwicklung der Menschheit
    Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt, behaart und mit böser Visage.
    Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt und die Welt asphaltiert und aufgestockt, bis zur 30. Etage.
    Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn, in zentralgeheizten Räumen.
    Da sitzen sie nun am Telephon.
    Und es herrscht noch genau derselbe Ton wie seinerzeit auf den Bäumen.
    Sie hören weit. Sie sehen fern.
    Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.
    Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.
    Die Erde ist ein gebildeter Stern
    mit sehr viel Wasserspülung.
    Sie schießen die Briefschaften durch ein Rohr.
    Sie jagen und züchten Mikroben.
    Sie versehn die Natur mit allem Komfort.
    Sie fliegen steil in den Himmel empor
    und bleiben zwei Wochen oben.
    Was ihre Verdauung übrig läßt,
    das verarbeiten sie zu Watte.
    Sie spalten Atome. Sie heilen Inzest.
    Und sie stellen durch Stiluntersuchungen fest, daß Cäsar Plattfüße hatte.
    So haben sie mit dem Kopf und dem Mund den Fortschritt der Menschheit geschaffen.
    Doch davon mal abgesehen und
    bei Lichte betrachtet, sind sie im Grund noch immer die alten

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