Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke.
Schmetterling.«
Sie schenkte ihm Kinder, so oft es nur ging.
Sie wohnten möbliert und waren nie krank.
Die Kinder schliefen im Kleiderschrank.
Zu Weihnachten malten sie kurzerhand
Geschenke mit Buntstiften an die Wand.
Und aßen Brot, als wär’s Konfekt,
und spielten: Wie Gänsebraten schmeckt.
Dergleichen stärkt wohl die Phantasie.
Drum wurde der Mann, blitzblatz! ein Genie.
Schrieb schöne Romane. Verdiente viel Geld und wurde der reichste Mann auf der Welt.
Erst waren sie stolz. Doch dann tat’s ihnen leid, denn der Reichtum schadet der Heiterkeit.
Sie schenkten das Geld einem Waisenkind.
Und wenn sie nicht gestorben sind …
Die Großeltern haben Besuch
Für seine Kinder hat man keine Zeit.
(Man darf erst sitzen, wenn man nicht mehr gehn kann.) Erst bei den Enkeln ist man dann soweit, daß man die Kinder ungefähr verstehn kann.
Spielt hübsch mit Sand und backt euch Sandgebäck!
Ihr seid so fern und trotzdem in der Nähe, als ob man über einen Abgrund weg
in einen fremden bunten Garten sähe.
Spielt brav mit Sand und baut euch Illusionen!
Ihr und wir Alten wissen ja Bescheid:
Man darf sie bauen, aber nicht drin wohnen.
Ach, bleibt so klug, wenn ihr erwachsen seid.
Wir möchten euch auch später noch beschützen.
Denn da ist vieles, was euch dann bedroht.
Doch unser Wunsch wird uns und euch nichts nützen.
Wenn ihr erwachsen seid, dann sind wir tot.
Ein Kubikkilometer genügt
Ein Mathematiker hat behauptet,
daß es allmählich an der Zeit sei,
eine stabile Kiste zu bauen,
die tausend Meter lang, hoch und breit sei.
In diesem einen Kubikkilometer
hätten, schrieb er im wichtigsten Satz, sämtliche heute lebenden Menschen
(das sind zirka zwei Milliarden) Platz!
Man könnte so die ganze Menschheit
in eine Kiste steigen heißen
und diese, vielleicht in den Kordilleren, in einen der tiefsten Abgründe schmeißen.
Da lägen wir dann, fast unbemerkbar,
als würfelförmiges Paket.
Und Gras könnte über die Menschheit wachsen Und Sand würde daraufgeweht.
Kreischend zögen die Geier Kreise.
Die riesigen Städte stünden leer.
Die Menschheit läg in den Kordilleren.
Das wüßte dann aber keiner mehr.
Anhang
Der Blinde an der Mauer
Ohne Hoffnung, ohne Trauer
hält er seinen Kopf gesenkt.
Müde hockt er auf der Mauer.
Müde sitzt er da und denkt:
»Wunder werden nicht geschehen.
Alles bleibt so, wie es war.
Wer nichts sieht, wird nicht gesehen.
Wer nichts sieht, ist unsichtbar.
Schritte kommen, Schritte gehen.
Was das wohl für Menschen sind?
Warum bleibt denn niemand stehen?
Ich bin blind, und ihr seid blind.
Euer Herz schickt keine Grüße
aus der Seele ins Gesicht.
Hörte ich nicht eure Füße,
dächte ich, es gibt euch nicht.
Tretet näher! Laßt euch nieder,
bis ihr ahnt, was Blindheit ist.
Senkt den Kopf, und senkt die Lider,
bis ihr, was euch fremd war, wißt.
Und nun geht! Ihr habt ja Eile!
Tut, als wäre nichts geschehn.
Aber merkt euch diese Zeile:
Wer nichts sieht, wird nicht gesehn.«
epub-Version erstellt im Januar 2013 von einem Schalke-Fan. Glück auf!
Grüße an SPIEGELBEST und die Hörspiel-Scene!
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