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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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wußte auch nur in klassischen Zeiten, was Inspiration, was echte, alte urtümliche Begeisterung ist, von Kritik, lahmer Besonnenheit, tötender Verstandskontrolle ganz unangekränkelte Begeisterung, die heilige Verzuckung? Ich glaube gar, der Teufel gilt für den Mann zersetzender Kritik? Verleumdung – wieder einmal, mein Freund! Potz Fickerment! Wenn er etwas haßt, wenn ihm in aller Welt etwas konträr ist, so ist es die zersetzende Kritik. Was er will und spendet, das ist gerade das triumphierende Über-sie-hinaus-sein, die prangende Unbedenklichkeit!‹
    Ich:
›Marktschreier.‹
    Er:
›Gewiß doch! Wenn Einer die gröbsten Mißverständnisse über sich, mehr noch aus Wahrheits-, denn aus Eigenliebe, richtig stellt, ist er ein Maulaufreißer. Ich werde mir von deiner ungnädigen Verschämtheit den Mund nicht stopfen lassen und weiß, daß du nur deine Affecten bei dir verdruckst und mir mit soviel Vergnügen zuhörst wie das Mägdlein dem Flüsterer in der Kirche … Nimm gleich einmal den Einfall, – was ihr so nennt, was ihr seit hundert oder zweihundert Jahren so nennt, – denn früher gab's die Kategorie ja gar nicht, so wenig wie musikalisches Eigentumsrecht und alldas. Der Einfall also, eine Sache von drei, vier Takten, nicht wahr, mehr nicht. Alles Übrige ist Elaboration, ist Sitzfleisch. Oder nicht? Gut, nun sind wir aber experte Kenner der Literatur und merken, daß der Einfall nicht neu ist, daß er gar zu sehr an etwas erinnert, was {347} schon bei Rimsky-Korsakow oder bei Brahms vorkommt. Was tun? Man ändert ihn eben. Aber ein geänderter Einfall, ist das überhaupt noch ein Einfall? Nimm Beethovens Skizzenbücher! Da bleibt keine thematische Conception wie Gott sie gab. Er modelt sie um und schreibt hinzu: ‹Meilleur.› Geringes Vertrauen in Gottes Eingebung, geringer Respekt davor drückt sich aus in diesem immer noch keineswegs enthusiastischen ›Meilleur‹! Eine wahrhaft beglückende, entrückende, zweifellose und gläubige Inspiration, eine Inspiration, bei der es keine Wahl, kein Bessern und Basteln gibt, bei der alles als seliges Diktat empfangen wird, der Schritt stockt und stürzt, sublime Schauer den Heimgesuchten vom Scheitel zu den Fußspitzen überrieseln, ein Tränenstrom des Glücks ihm aus den Augen bricht, – die ist nicht mit Gott, der dem Verstande zuviel zu tun übrig läßt, die ist nur mit dem Teufel, dem wahren Herrn des Enthusiasmus möglich.‹
    Mit dem Kerl vor mir war unterdeß, während seiner letzten Reden, weylinger Weis was andres vorgegangen: Sah ich recht hin, kam er mir verschieden vor gegen früher; saß da nicht länger als Ludewig und Mannsluder, sondern, bitte doch sehr, als was Besseres, hatt einen weißen Kragen um und einen Schleifenschlips, auf der gebogenen Nase eine Brille mit Hornrahmen, hinter der feucht-dunkle, etwas gerötete Augen schimmern, – eine Mischung von Schärfe und Weichheit das Gesicht: die Nase scharf, die Lippen scharf, aber weich das Kinn, mit einem Grübchen darin, ein Grübchen in der Wange noch obendrein, – bleich und gewölbt die Stirn, aus der das Haar wohl erhöhend zurückgeschwunden, aber von der's zu den Seiten dicht, schwarz und wollig dahinstand, – ein Intelligenzler, der über Kunst, über Musik, für die gemeinen Zeitungen schreibt, ein Theoretiker und Kritiker, der selbst komponiert, soweit eben das Denken es ihm erlaubt. Weiche, magere Hände dazu, die mit Gesten von feinem Ungeschick seine Rede be {348} gleiten, manchmal zart über das dicke Schläfen- und Nackenhaar streichen. Dies war nun des Besuchers Bild in der Sofaecke. Größer war er nicht geworden; und vor allem die Stimme, nasal, deutlich, gelernt wohllautend, war dieselbe geblieben; sie bewahrte die Identität bei fließender Erscheinung. Höre ich ihn denn sagen und sehe seinen breiten, an den Winkeln verkniffenen Mund unter der mangelhaft rasierten Oberlippe sich vorn artikulierend bewegen:
    ›Was ist heute die Kunst? Eine Wallfahrt auf Erbsen. Gehört mehr zum Tanz heutzutag als ein rot Paar Schuh, und du bist's nicht allein, den der Teufel betrübt. Sieh sie dir an, deine Kollegen, – ich weiß wohl, du siehst sie nicht an, du siehst nicht nach ihnen hin, du pflegst die Illusion des Alleinseins und willst alles für dich, allen Fluch der Zeit. Aber sieh sie zum Troste doch an, die Mit-Inauguratoren der neuen Musik, ich meine die ehrlichen, ernsten, die die Konsequenzen der Lage ziehen! Ich rede nicht von den folkloristischen und

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