Doktor Faustus
Tränen in meines Vaters Augen wollte ich ihm erzählen, wenn er sagte: ‹Und dabei sind sie tot!›‹
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Er:
›Potz hundert Gift! Du hattest recht, ob seiner erbarmungsvollen Tränen zu lachen, – unangesehen noch, daß, wer's von Natur mit dem Versucher zu tun hat, immer mit den Gefühlen der Leute auf konträrem Fuße steht und immer versucht ist, zu lachen, wenn sie weinen, und zu weinen, wenn sie lachen. Was heißt denn ‹tot›, wenn die Flora doch so bunt und vielgestaltig wuchert und sprießet und wenn sie sogar heliotropisch ist? Was heißt ‹tot›, wenn der Tropfen doch solchen gesunden Appetit bekundet? Was krank ist, und was gesund, mein Junge, darüber soll man dem Pfahlbürger lieber das letzte Wort nicht lassen. Ob der sich so recht aufs Leben versteht, bleibt eine Frage. Was auf dem Todes-, dem Krankheitswege entstanden, danach hat das Leben schon manches Mal mit Freuden gegriffen und sich davon weiter und höher führen lassen. Hast du vergessen, was du auf der hohen Schul gelernt hast, daß Gott aus dem Bösen das Gute machen kann, und daß die Gelegenheit dazu ihm nicht verkümmert werden darf? Item, Einer muß immer krank und toll gewesen sein, damit die anderen es nicht mehr zu sein brauchen. Und wo die Tollheit anfängt, krank zu sein, macht niemand so leicht nicht aus. Schreibt Einer im Raptus an den Rand: ‹Bin selig! Bin außer mir! Das nenn ich neu und groß! Siedende Wonne des Einfalls! Meine Wangen glühen wie geschmolzen Eisen! Bin rasend, und ihr alle werdet rasend werden, wenn dies zu euch kommt! Gott helfe dann euren armen Seelen!› – ist das noch tolle Gesundheit, normale Tollheit, oder hat er's in den Meningen? Der Bürger ist der letzte, es auszumachen; lange jedenfalls fällt ihm nichts weiter daran auf, weil Künstler nun mal 'nen Vogel haben. Ruft Einer nächsten Tags im Rückschlag: ‹O blöde Öde! O Hundedasein, wenn man nichts machen kann! Gäb's doch nur Krieg da draußen, damit was los wär! Könnt' ich abkratzen auf gute Manier! Möge die Hölle sich meiner erbarmen, denn ich bin ein Höllensohn!› – ist das eigentlich zu nehmen? Ist es {345} die wörtliche Wahrheit, was er da von der Höllen sagt, oder ist's nur Metapher für ein bißchen normale Dürer'sche Melencholia? In summa, wir liefern euch bloß, wofür der klassische Dichter, der höchst Würdige, sich so schön bei seinen Göttern bedankt:
‹Alles geben die Götter, die unendlichen,
Ihren Lieblingen ganz:
Alle Freuden, die unendlichen,
Alle Schmerzen, die unendlichen, ganz.›‹
Ich:
›Höhnischer Lügner! Si Diabolus non esset mendax et homicida! Muß ich dich schon hören, sprich mir wenigstens nicht von heiler Größe und gewachsenem Gold! Ich weiß, daß das mit Feuer statt durch die Sonne gemachte Gold nicht echt ist.‹
Er:
›Wer sagt das? Hat die Sonne bessres Feuer, als die Küche? Und heile Größe? Wenn ich davon nur höre! Glaubst du an sowas, an ein Ingenium, das gar nichts mit der Höllen zu tun hat? Non datur! Der Künstler ist der Bruder des Verbrechers und des Verrückten. Meinst du, daß je ein irgend belustigendes Werk zustandegekommen, ohne daß sein Macher sich dabei auf das Dasein des Verbrechers und des Tollen verstehen lernte? Was krankhaft und gesund! Ohne das Krankhafte ist das Leben sein Lebtag nicht ausgekommen. Was echt und unecht! Sind wir Landbescheißer? Ziehen wir die guten Dinge dem Nichts aus der Nase? Wo nichts ist, hat auch der Teufel sein Recht verloren, und keine bleiche Venus richtet da was Gescheites aus. Wir schaffen nichts Neues – das ist andrer Leute Sache. Wir entbinden nur und setzen frei. Wir lassen die Lahm- und Schüchternheit, die keuschen Skrupel und Zweifel zum Teufel gehn. Wir pulvern auf und räumen, bloß durch ein bißchen Reiz-Hyperaemie, die Müdigkeit hinweg, – die kleine und die große, die private und die der Zeit. Das ist es, du denkst nicht an die Läufte, du denkst nicht historisch, wenn du dich {346} beklagst, daß der und der es
ganz
haben konnte, Freuden und Schmerzen unendlich, ohne daß ihm das Stundglas gestellt war, die Rechnung endlich präsentiert wurd. Was der in seinen klassischen Läuften allenfalls ohne uns haben konnte, das haben heutzutage nur wir zu bieten. Und wir bieten Bessres, wir bieten erst das Rechte und Wahre, – das ist schon nicht mehr das Klassische, mein Lieber, was wir erfahren lassen, das ist das Archaische, das Urfrühe, das längst nicht mehr Erprobte. Wer weiß heute noch, wer
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