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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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neo-klassischen Asylisten, deren Modernität darin besteht, daß sie sich den musikalischen Ausbruch verbieten und mit mehr oder weniger Würde das Stilkleid vorindividualistischer Zeiten tragen. Reden sich und anderen ein, das Langweilige sei interessant geworden, weil das Interessante angefangen hat, langweilig zu werden …‹
    Ich mußte lachen, denn obschon die Kälte fortfuhr, mir zuzusetzen, muß ich gestehen, daß mir seit seiner Veränderung in seiner Gesellschaft wohler geworden war. Er lächelte mit, nur indem seine geschlossenen Mundwinkel sich fester strafften, wobei er ein wenig die Augen schloß.
    ›Ohnmächtig sind sie auch‹, fuhr er fort, ›aber ich glaube, du und ich ziehen die achtbare Ohnmacht derer vor, die es verschmähen, die allgemeine Erkrankung unter würdigem Mumschanz zu hehlen. Allgemein aber ist die Krankheit, und die Redlichen stellen an sich so gut, wie an den Rückbildlern, ihre {349} Symptome fest. Droht nicht die Produktion auszugehen? Und was an Ernstzunehmendem noch zu Papier kommt, zeugt von Mühsal und Unlust. Äußere, gesellschaftliche Gründe? Mangel an Nachfrage, – und wie in der vorliberalen Ära hängt die Möglichkeit der Produktion weithin vom Zufall der Mäzenatengunst ab? Richtig, aber als Erklärung genügt's nicht. Das Komponieren selbst ist zu schwer geworden, verzweifelt schwer. Wo Werk sich nicht mehr mit Echtheit verträgt, wie will einer arbeiten? Aber so steht es, mein Freund, das Meisterwerk, das in sich ruhende Gebilde, gehört der traditionellen Kunst an, die emanzipierte verneint es. Die Sache fängt damit an, daß euch beileibe nicht das Verfügungsrecht zukommt über alle jemals verwendeten Tonkombinationen. Unmöglich der verminderte Septimakkord, unmöglich gewisse chromatische Durchgangsnoten. Jeder Bessere trägt in sich einen Kanon des Verbotenen, des Sich-verbietenden, der nachgerade die Mittel der Tonalität, also aller traditionellen Musik umfaßt. Was falsch, was verbrauchtes Cliché geworden, der Kanon bestimmt es. Tonale Klänge, Dreiklänge in einer Komposition mit dem technischen Horizont von heute – überbieten jede Dissonanz. Als solche allenfalls sind sie zu brauchen, – aber behutsam und nur in extremis, denn der Chock ist ärger, als früher der bitterste Mißklang. Auf den technischen Horizont kommt alles an. Der verminderte Septimakkord ist richtig und voller Ausdruck am Anfang von opus hundertundelf. Er entspricht Beethovens technischem Gesamtniveau, nicht wahr?, der Spannung zwischen der äußersten ihm möglichen Dissonanz und der Konsonanz. Das Prinzip der Tonalität und seine Dynamik verleiht dem Akkord sein spezifisches Gewicht. Er hat es verloren – durch einen historischen Prozeß, den niemand umkehrt. Höre den abgestorbnen Akkord, – selbst in seiner Versprengtheit steht er für einen technischen Gesamtstand, der dem wirklichen widerspricht. Jeder Klang trägt das Ganze, auch {350} die ganze Geschichte in sich. Aber darum ist die Erkenntnis des Ohrs, was richtig und falsch ist, unweigerlich und direkt an ihn, diesen einen, an sich nicht falschen Akkord gebunden, ganz ohne abstrakte Beziehung aufs technische Gesamtniveau. Wir haben da einen Anspruch von Richtigkeit, den das Gebild an den Künstler stellt, – ein wenig streng, was meinst du? Erschöpft sich nicht nächstens sein Tun in der Vollstreckung des in den objektiven Bedingungen der Produktion Enthaltenen? In jedem Takt, den einer zu denken wagt, präsentiert der Stand der Technik sich ihm als Problem. Jeden Augenblick verlangt die Technik als ganze von ihm, daß er ihr gerecht werde und die allein richtige Antwort, die sie in jedem Augenblick zuläßt. Es kommt dahin, daß seine Kompositionen nichts mehr als solche Antworten sind, nur noch die Auflösung technischer Vexierbilder. Kunst wird Kritik – etwas sehr Ehrenhaftes, wer leugnet's! Viel Ungehorsam im strengen Gehorchen, viel Selbständigkeit, viel Mut gehört dazu. Aber die Gefahr des Unschöpferischen, – was meinst du? Ist sie wohl Gefahr noch oder schon fix und fertiges Faktum?‹
    Er pausierte. Er sah mich mit feuchten, geröteten Augen durch die Brille an, hob mit zarter Bewegung die Hand und strich mit zwei mittleren Fingern sein Haupthaar. Ich sagte:
    ›Worauf wartet ihr? Soll ich eueren Hohn bewundern? Ich habe nie gezweifelt, daß ihr mir zu sagen wißt, was ich weiß. Euere Art, es vorzubringen, ist recht absichtsvoll. Mit allem wollt ihr mich bedeuten, wie ich niemands sonsten

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