Doktor Faustus
Freiheit des Spiels gewährleisteten.‹
Ich:
›Man könnte das wissen und sie jenseits aller Kritik wieder anerkennen. Man könnte das Spiel potenzieren, indem man mit Formen spielte, aus denen, wie man weiß, das Leben geschwunden ist.‹
Er:
›Ich weiß, ich weiß. Die Parodie. Sie könnte lustig sein, wenn sie nicht gar so trübselig wäre in ihrem aristokratischen Nihilismus. Würdest du dir viel Glück und Größe von solchen Schlichen versprechen?‹
Ich
(erwidere ihm zornig): ›Nein.‹
Er:
›Kurz und unwirsch! Warum aber unwirsch? Weil ich dir freundschaftliche Gewissensfragen stelle, unter vier Augen? Weil ich dir dein verzweifelt Herz gezeigt und dir mit der Einsicht des Kenners die geradezu unüberwindlichen Schwierigkeiten heutigen Komponierens vor Augen rücke? Magst mich als Kenner nur immerhin ästimieren. Es sollte der Teufel wohl was von Musik verstehen. Wenn ich nicht irre, lasest du da vorhin in dem Buch des in die Ästhetik verliebten Christen? Der wußte Bescheid und verstand sich auf mein besondres Verhältnis zu dieser schönen Kunst, – der allerchristlichsten Kunst, wie er findet, – mit negativem Vorzeichen natürlich, vom Christentum zwar eingesetzt und entwickelt, aber verneint und ausgeschlossen als dämonisches Bereich, – und da hast du es denn. Eine hochtheologische Angelegenheit, die Musik – wie die Sünde es ist, wie ich es bin. Die Leidenschaft des Christen da für die Musik ist wahre Passion, als welche nämlich Erkenntnis und Verfallenheit ist in einem. Wahre Leidenschaft gibt es nur im Ambiguosen und als Ironie. Die höchste Passion gilt dem absolut Verdächtigen … Nein, musikalisch bin ich schon, laß das gut sein. Und da hab ich dir nun den armen Judas gesungen von wegen der Schwierigkeiten, in die wie alles heute die Musik geraten. Hätt ich es nicht tun sollen? Aber ich tat es {354} doch nur, um dir anzuzeigen, daß du sie durchbrechen, daß du dich zur schwindlichten Bewunderung deiner selbst über sie erheben und Dinge machen sollst, daß dich das heilige Grauen davor ankommen soll.‹
Ich:
›Auch eine Verkündigung. Ich werde osmotische Gewächse ziehen.‹
Er:
›Ist doch gehupft wie gesprungen! Eisblumen, oder solche aus Stärke, Zucker und Zellulose, – beides ist Natur, und fragt sich noch, wofür Natur am meisten zu beloben. Deine Neigung, Freund, dem Objektiven, der sogenannten Wahrheit nachzufragen, das Subjektive, das reine Erlebnis als unwert zu verdächtigen, ist wahrhaft spießbürgerlich und überwindenswert. Du siehst mich, also bin ich dir. Lohnt es zu fragen, ob ich wirklich bin? Ist wirklich nicht, was wirkt, und Wahrheit nicht Erlebnis und Gefühl? Was dich erhöht, was dein Gefühl von Kraft und Macht und Herrschaft vermehrt, zum Teufel, das ist die Wahrheit, – und wär es unterm tugendlichen Winkel gesehen zehnmal eine Lüge. Das will ich meinen, daß eine Unwahrheit von kraftsteigernder Beschaffenheit es aufnimmt mit jeder unersprießlich tugendhaften Wahrheit. Und ich will's meinen, daß schöpferische, Genie spendende Krankheit, Krankheit, die hoch zu Roß die Hindernisse nimmt, in kühnem Rausch von Fels zu Felsen sprengt, tausendmal dem Leben lieber ist, als die zu Fuße latschende Gesundheit. Nie hab ich etwas Dümmeres gehört, als daß von Krankem nur Krankes kommen könne. Das Leben ist nicht heikel und von Moral weiß es einen Dreck. Es ergreift das kühne Krankheitserzeugnis, verspeist, verdaut es, und wie es sich seiner nur annimmt, so ist's Gesundheit. Vor dem Faktum der Lebenswirksamkeit, mein Guter, wird jeder Unterscheidt von Krankheit und Gesundheit zunichte. Eine ganze Horde und Generation empfänglich-kerngesunder Buben stürzt sich auf das Werk des kranken Genius, des von Krankheit Genialisierten, bewundert, {355} preist, erhebt es, führt es mit sich fort, wandelt es unter sich ab, vermacht es der Kultur, die nicht von hausbackenem Brote allein lebt, sondern nicht weniger von Gaben und Giften aus der Apotheke ‹Zu den Seligen Boten›. Das sagt dir der unverballhornte Sammael. Er garantiert dir nicht nur, daß gegen das Ende deiner Stundglas-Jahre das Gefühl deiner Macht und Herrlichkeit die Schmerzen der kleinen Seejungfrau mehr und mehr überwiegen und schließlich zu triumphalstem Wohlsein, zum enthusiastischen Gesundheitsaffekt, zum Wandel eines Gottes sich steigern soll, – das ist nur die subjektive Seite der Sache, ich weiß, es wäre dir nicht genug damit, es würde dir unsolid scheinen. So
Weitere Kostenlose Bücher