Doktor Proktor verhindert den Weltuntergang
Spinne?«, sagte Bulle. »Freunde nennen ihn Perry. Mögen Sie Spinnen, Herr Galvanius?«
»Sehr«, sagte Gregor Galvanius und eine schmale Zungenspitze schoss aus seinem Mund und leckte über die Lippen. »Insekten allgemein, wenn man so sagen will.«
»Ach so?«, sagte Bulle. »Das hier ist eine siebenbeinige …«
»Peruanische Saugespinne«, sagte Galvanius. »Und ein richtig fettes und hübsches Exemplar obendrein.« Ein dünner Speichelfaden seilte sich von einem seiner Mundwinkel ab.
Bulle nahm die orange Pudelmütze und stülpte sie vorsichtig über Perry und seinen Kopf
»Kalt«, sagte Bulle erklärend. »Perry friert so schnell an den Beinen. Und bei sieben Beinen, an denen man frieren kann, kann das ganz schön … ähm, fröstelig werden. Stimmt’s?«
Lise ertappte sich dabei, dass sie Galvanius’ Schuhe anstarrte. Sie sahen neu aus. Sehr neu. Unnormal neu, genau genommen. Ja, wenn sie näher darüber nachdachte, hatte sie noch nie so neue Schuhe gesehen.
»Was ist hier los?«, hörten sie eine Stimme sagen.
Die Stimme gehörte Frau Strobe. Gregor Galvanius hickste laut und bekam einen knallroten Kopf.
»Solltet ihr nicht auf dem Weg zur Klasse sein?«, sagte sie.
»A-aber es hat doch noch gar nicht geläutet«, erwiderte Lise.
In der gleichen Sekunde begann – wie auf Frau Strobes Kommando – die Schulglocke zu läuten. Hitzig und surrend wie eine Hummel in einem Marmeladenglas.
Bulle und Lise liefen los. Und hinter sich hörten sie Frau Strobes gebieterische Stimme.
»Das gilt auch für Sie, Gregor.«
»Selbstverständlich, Frau Strobe.«
Und damit hüpfte Gregor Galvanius mit langen, merkwürdigen Hopsern davon.
Als Lise und Bulle in der Klasse waren und der Unterricht begann, sah Lise, wie Beatrize und die anderen Mädchen die Köpfe zusammensteckten und kicherten und schadenfrohe Blicke in ihre und Bulles Richtung warfen. Und Lise dachte, dass Bulle recht hatte. Wer will schon im Chor singen, wenn er in der Schulkapelle spielen kann? Und heute Abend war Probe.
4. Kapitel
Chor und Kapelle
Ganz Norwegen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, hatte es sich vorm Fernseher gemütlich gemacht, als Kalle Papps, der Moderator von Kon-CHOR-renz, in die Kamera rief, dass es jetzt Zeit für das Finale war …
Kalle Papps Stimme überschlug sich fast, als er sich zur Bühne drehte und die Arme ausbreitete. »Und der erste Chor im Ring ist … Hallvard Tenoresen mit Fanni Voisis!«
Und da standen sie, in schicken, schwarzen, eng anliegenden Hemden. Die Funny Voices. Und vor ihnen, in einem noch schickeren, schwärzeren und engeren Hemd: Hallvard Tenoresen. Er lächelte breit, hob beide Arme, presste Daumen und Zeigefinger zusammen, als würde er sich etwas Ekliges vom Leib halten, zuckte ein paar Mal eigenartig mit dem Kopf, als bekäme er elektrische Schläge verpasst, worauf der Chor anstimmte:
Manni, manni, manni,
masst bi fanni
inneritsch mäns wölt!
Bei der dritten Strophe drehte Tenoresen sich um, lächelte in die Kamera und dirigierte, als sollten die Zuschauer dort draußen, in den vielen tausend Wohnzimmern, in das Lied mit einstimmen.
Was sie auch taten. Mit Kaffeetassen, Limoflaschen und Schnullern bewaffnet saßen sie da und sangen mit, wie schnöde es doch war zu arbeiten und wie viel netter es wäre, reich zu sein.
Als Tenoresen fertig war, erschien Kalle Papps wieder auf dem Bildschirm und rief: »Sssjuuuper! Wenn Sie Fanni Voisis Ihre Stimme geben wollen, rufen Sie die Nummer an, die gleich auf dem Bildschjirm erscheint!«
Und in den Wohnzimmern von Lindesnes bis Kirkenes stürzten die Zuschauer an die Telefone und gaben ihre Stimmen ab. Und während die anderen Chöre sangen und ihr Bestes gaben, mampften die Zuschauer Chips und Popcorn, Käsepops und andere Dinge mit P, während sie sich darüber unterhielten, wie fantastisch Hallvard Tenoresen war. In einem Frisörsalon in Hønefoss sagte eine Frisörin kichernd: »Ich glaube, ich lasse mir einen Termin in Tenoresens Chiropraktiker-Praxis geben.«
In einer Cafeteria in Fræna brummelte ein Lastwagenfahrer: »Hab gehört, der nimmt’s mit drei ausgewachsenen Kerlen auf einmal im Armdrücken auf, während er nebenbei einen Reifen wechselt, Balalaika spielt und den Abwasch macht.«
Und im Altersheim in Raufoss sagte der älteste Heimbewohner mit zittriger Stimme: »In der Zeitung stand, er hätte sechshundert Mädchen und Frauen auf den Mund geküsst. Plus ein paar Männer, die wie Frauen aussahen. Und eine Frau, die
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