Dolly - 17 - Eine Hauptrolle fuer die Burg
Gesicht an der Locke näher zu sich…. ganz nah…. bis er ihre Lippen erreichen konnte. Und dann küßte er sie. Ein Kuß wie im Kino! „Wir müssen gehn”, flüsterte Olly. „Sonst suchen sie uns. Komm!”
Sie nahm Faden an der Hand und schlenderte mit ihm davon, als hätten sie nichts anderes getan, als sich unterhalten.
Phantastisch! dachte Martina. Eine Superszene! Genau, wie wir uns das vorgestellt hatten! Dann sah sie verblüfft auf ihre Hände. Die Kamera! Sie hatte sie überhaupt nicht benutzt! Sie hatte ganz einfach atemlos zugesehen, wie sich vor ihren Augen die schönste Liebesszene abspielte, und darüber völlig vergessen, sie aufzunehmen. „Na?” fragte Regine. „Hat’s geklappt?”
„Von wegen! Sie haben nur langweiliges Zeug geredet – mit zwei Meter Abstand, mindestens!”
„Typisch Olly! Von Liebe keine Ahnung. Wir hätten es wissen müssen.”
Hat Dolly Sorgen?
Die einzige, die in diesen turbulenten Tagen mit einem stets brummigen oder traurigen Gesicht herumlief, war Alexa. Die Kränkung, daß die jüngere Gundula die Rolle der Christina bekommen hatte, konnte sie nicht so schnell vergessen, und daß niemand, nicht einmal Fräulein Wehmut, Verständnis für ihre Lage aufbrachte, empörte sie zutiefst. Wenigstens die verehrte Lehrerin, die sonst immer bereit gewesen war, ihre endlosen Klagen anzuhören, hätte Mitleid zeigen können! Statt dessen hatte sie ihr flüchtig die Wange getätschelt und gesagt: „Ja, ja, das Leben geht nicht immer gerecht mit uns um. Aber du bist ja noch jung, mein Kind. Es werden gewiß noch viele Chancen auf dich zukommen. Nur den Kopf nicht hängenlassen!”
Kein Wort über die Ungerechtigkeit des Regisseurs, ihre Begabung nicht zu erkennen und eine Jüngere ihr vorzuziehen! Was konnte dieses Lämmchen Gundula ihm schon bieten, außer ihrem Unschuldsblick und dem Engelsgesicht! Er hatte ihr ja nicht einmal Zeit gelassen, ihr Können wirklich zu zeigen! Gundula hingegen hatte es viel leichter gehabt. Sie war als zweite drangekommen und hatte Gelegenheit gehabt, sich die gewünschte Szene bei der Vorgängerin anzusehen und zu überlegen, wie sie sie spielen wollte!
Je länger Alexa darüber nachdachte, desto fester war sie davon überzeugt, von Herrn Dophahn völlig verkannt zu werden. Sie hegte nicht den geringsten Zweifel an ihrer schauspielerischen Begabung und daran, daß sie für eine Filmlaufbahn bestimmt sei.
In den Freistunden zog sie sich in ein leeres Zimmer zurück und spielte alle weiblichen Rollen des Films für sich durch. Wer konnte denn wissen, ob ihre Chance nicht über Nacht heranreifen würde! Vielleicht brach sich Leonie Larsen, die die Rolle der echten Erbin spielte, ebenfalls ein Bein, und sie konnte die Rolle übernehmen? Ihre Ähnlichkeit war verblüffend, fand Alexa, sie hätten Schwestern sein können! Gesa Gehrke war ausgefallen und hatte Fräulein Wehmut Platz gemacht, warum sollte nicht auch ihr das Glück beschieden sein? Sie mußte sich nur gut vorbereiten, um für alles gerüstet zu sein.
So träumte Alexa, wenn sie nicht gerade Ausschau nach jemandem hielt, dem sie ihr Leid klagen konnte. Eine verwandte Seele, die bewundernd zu ihr aufsah und ihr jedes Wort glaubte. Jemand, der sich zurückgestoßen und enttäuscht fühlte wie sie selbst.
Die Hoffnung, unter den Mädchen des Nordturms diese Seelenfreundin zu finden, hatte sie bald aufgegeben. Im Westturm gab es zwei Mädchen, die ihr ein gewisses Maß an Bewunderung entgegenbrachten und bereit waren, widerspruchslos Alexas Geschichten anzuhören. Aber es waren zwei naive kleine Gänschen aus der Ersten, keine ernstzunehmenden Freundinnen. Wenn in diesem Hause überhaupt jemand bereit war, ihr ernsthaft entgegenzukommen, so war es die Hausmutter, aber jedesmal endeten die Gespräche damit, daß Dolly ihr mehr oder weniger nachdrücklich klarzumachen versuchte, Alexa müsse ihre Einstellung ändern, und gerade das wollte sie um keinen Preis hören.
Wieder einmal hatte sich Alexa zurückgezogen, um ihr Rollenstudium zu betreiben. Die Gelegenheit war günstig: Alles hatte sich unten im Rosengarten versammelt, um bei den dort stattfindenden Filmaufnahmen zuzusehen. Niemand störte sie. Alexa arbeitete eine gute Stunde, dann wurde es ihr langweilig. Außerdem lenkten die Geräusche aus dem Garten – Herrn Dophahns „Kamera ab! Ton ab! Action!” – sie immer wieder ab. So beschloß sie hinunterzugehen und von weitem die Arbeit der Schauspieler zu beobachten. Auch auf
Weitere Kostenlose Bücher