Don Camillo und Peppone
erklärte Peppone, «streifte Brusco um das Haus des Pizzi, weil wir fürchteten, daß jemand den Buben beseitigen könnte. Der Bub muß gesehen haben, wer vom Fenster auf seinen Vater schoß, und der andere weiß es. Ich kreiste inzwischen um Ihr Haus herum. Ich war nämlich sicher, daß der andere annimmt, Sie wüßten es, wer auf Pizzi geschossen hat.»
«Der andere, wer?»
«Ich weiß nicht», antwortete Peppone. «Ich habe ihn von weitem gesehen, wie er zum Fenster der kleinen Kapelle ging. Ich konnte aber nicht schießen, bevor er etwas getan hatte. Kaum hatte er geschossen, habe auch ich es getan. Ich habe ihn verfehlt.»
«Der Herr sei gelobt», sagte Don Camillo. «Ich weiß, wie du schießt, und ich kann dir nur sagen, daß es zwei Wunder waren.»
«Wer kann es sein? Nur Sie und der Bub wissen es.»
Don Camillo sprach langsam.
«Ja, Peppone, ich weiß es, nichts auf der Welt kann mich aber dazu bringen, das Beichtgeheimnis zu verletzen.»
Peppone seufzte und fuhr fort zu malen.
«Etwas stimmt nicht», sagte er plötzlich. «Es scheint mir, als ob mich alle jetzt mit anderen Augen anschauen würden. Alle, auch Brusco.»
«Dem Brusco wird es auch so vorkommen. Den anderen auch», antwortete Don Camillo. «Jeder hat Angst vor dem anderen, und immer, wenn er spricht, glaubt er, sich verteidigen zu müssen.»
«Warum denn?»
«Lassen wir die Politik in Ruhe, Peppone.»
Peppone seufzte wieder.
«Ich fühle mich wie auf einer Galeere», sagte er finster.
«Man kann immer aus der Galeere dieser Welt entschlüpfen», antwortete Don Camillo. «Die Galeeren gibt es nur für den Körper. Und der Körper zählt wenig.»
Das Jesukind war jetzt fertig, frisch in der Farbe und so rosa und hell, daß es mitten auf der enormen dunklen Hand Peppones zu leuchten schien.
Peppone schaute es an, und es schien ihm, daß er die Wärme dieses kleinen Körpers auf seiner Hand spüre. Und er vergaß die Galeere. Er legte das rosa Jesukind sanft und vorsichtig auf den Tisch, und Don Camillo stellte daneben die Madonna.
«Mein Kleiner lernt jetzt das Weihnachtsgedicht», berichtete stolz Peppone.
«Ich höre jeden Abend, wie es seine Mutter mit ihm vor dem Schlafen wiederholt. Er ist ein Phänomen.»
«Ich weiß», bestätigte Don Camillo. «Auch das Gedicht für den Bischof hat er herrlich gelernt gehabt.»
Peppone straffte sich.
«Das war eine Ihrer größten Gaunereien!» rief er, «dafür werden Sie mir noch zahlen.»
«Zum Zahlen und zum Sterben ist immer Zeit», erwiderte Don Camillo.
Neben die über das Jesukind gebeugte Madonna stellte er den kleinen Esel.
«Das ist Peppones Sohn, das ist Peppones Frau, und das ist Peppone», sagte Don Camillo und berührte zum Schluß den kleinen Esel.
«Und das ist Don Camillo!» rief Peppone, nahm den kleinen Ochsen und stellte ihn zur Gruppe.
«Ach was, unter Tieren versteht man sich immer gut», schloß Don Camillo.
Nach dem Abschied tauchte Peppone wieder in die düstere Nacht der Po-Gegend, war aber jetzt ganz ruhig, weil er in der hohlen Hand die Wärme des Jesukindleins spürte.
Dann hörte er im Ohr die Worte des Gedichtes klingen, das er schon auswendig kannte.
«Wenn er es mir am Heiligen Abend aufsagt, wird das herrlich sein!» freute er sich. «Und wenn es auch die Volksdemokratie anders befehlen wird, man muß diese Gedichte belassen. Ach was, vorschreiben muß man sie!»
Der Strom fließt ruhig und langsam, dort, zwei Schritte vom Fuße des Dammes, und auch er ist ein Gedicht: ein Gedicht, das angefangen wurde, als die Welt begann, und das sich noch immer fortsetzt. Und um den kleinsten unter den Milliarden von Steinen am Grunde des Wassers abzurunden und abzuschleifen, waren tausend Jahre notwendig.
Und nur in zwanzig Generationen wird das Wasser ein neues Steinchen geschliffen haben.
Und in tausend Jahren werden die Leute mit einer Stundengeschwindigkeit von sechstausend Kilometern mit Superatomraketen fliegen, und wozu? Um an das Jahresende zu gelangen und mit offenem Munde vor demselben Jesukinde aus Gips stehenzubleiben, das Genosse Peppone an einem dieser Abende mit dem kleinen Pinsel bemalt hat.
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