Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
hatte. In den ersten drei Tagen sagte Lotario nichts, wenn es sich auch gefügt hätte, nachdem man die Tafel aufhob und die Leute fortgingen, um schnell zu essen, denn so hatte es Camilla befohlen. Sie hatte zwar der Leonella überdies die Anweisung gegeben, vorher zu essen, damit sie ihr nie von der Seite ginge; diese aber, die ihren Sinn auf andere Dinge, die sie vergnügten, gerichtet hatte, und die diese Stunden brauchte, um sie nach ihrem Wohlgefallen zuzubringen, kehrte sich nicht immer genau an die Befehle ihrer Gebieterin, sondern ließ die beiden vielmehr allein, als wenn es ihr so wäre befohlen worden; doch vermochten Camillas Anstand, ihr ernstes Gesicht und ihre edle Gestalt so viel, daß sie Lotarios Zunge einen Zaum anlegten. Diese gute Wirkung von Camillas Tugenden, die der Zunge Lotarios Stillschweigen geboten, schlug um so mehr zum Schaden beider aus, denn wenn die Zunge schwieg, so hatten die Gedanken Zeit, Zug für Zug die Trefflichkeit und Schönheit Camillas zu mustern, die wohl stark genug waren, ein marmornes Bild, viel weniger ein menschliches Herz in Liebe zu entzünden. Lotario beschaute sie, indes er nicht sprechen konnte und erwog, wie sehr sie verdiene geliebt zu werden. Diese Betrachtungen fingen nach und nach an, die Rücksichten zu verdrängen, die er für Anselmo hatte, und tausendmal wünschte er sich von der Stadt entfernt zu sein, und dahin zu gehen, wo ihn Anselmo niemals sähe, und er niemals Camilla sehen könnte; doch hielt ihn das Vergnügen noch stärker zurück, das er in ihrem Anschauen empfand. Er sammelte seine Kraft und kämpfte gegen sich selbst, um das Wohlgefallen zu unterdrücken, welches ihn immer wieder bewog, Camilla zu betrachten; er schalt selbst seinen Wahnsinn und nannte sich einen schlechten Freund und noch schlechteren Christen. Dann stellte er wieder Vergleiche zwischen sich und Anselmo an und alle endigten damit, daß er glaubte, die Torheit und das Vertrauen Anselmos sei minder als seine geringe Treue zu entschuldigen, daß er wegen seines Vorhabens vor Gott und Menschen Nachsicht finden werde und keine Strafe verdiene. Kurz, Camillas Schönheit und Trefflichkeit, verbunden mit der Gelegenheit, die der unverständige Mann ihm selbst in die Hände gegeben hatte, besiegten Lotarios Biederkeit völlig, und ohne etwas anderes zu beachten als das, wohin ihn sein Vergnügen lenkte, fing er an, nachdem drei Tage nach Anselmos Abreise verflossen waren, in denen er in einem beständigen Kampf gegen seine Vorsätze gestritten hatte, Camilla mit einem solchen Sturm von Erklärungen seiner Liebe zu erschüttern, daß sie erstaunt dasaß und dann nichts weiter tat, als daß sie ihren Sessel verließ und, ohne eine Silbe zu antworten, in ihr Zimmer ging. Dies aber schlug in Lotario dennoch nicht die Hoffnung nieder, die immer mit der Liebe zugleich entsteht; sondern er liebte nun Camilla um so mehr, die nicht wußte, was sie denken oder tun sollte, da sie den Lotario niemals so gesehen hatte, und da es ihr aber weder sicher noch gut getan schien, ihm Gelegenheit zu geben, zum zweitenmal mit ihr zu sprechen, entschloß sie sich, noch an demselben Abend einen Diener mit einem Briefe an Anselmo zu schicken; dies tat sie auch wirklich, und der Brief enthielt folgende Worte.
34. Kapitel
In welchem die Novelle vom grübelnden Fürwitzigen fortgesetzt wird.
»Wie man zu sagen pflegt, daß eine Armee ohne ihren General wie ein Kastell ohne seinen Kastellan sich übel befinde, so sage ich, daß eine junge verheiratete Frau ohne ihren Mann noch schlimmer steht, wenn ihn nicht die dringendsten Ursachen entfernen. Ich befinde mich ohne Dich so übel, und es fällt mir so unmöglich, diese Trennung zu ertragen, daß, wenn Du nicht schnell kommst, ich mich in das Haus meiner Eltern begeben werde, wenn auch das Deinige ohne Aufsicht bleibt; denn diejenige, die Du zurückgelassen hast, wenn sie anders mit solchem Anspruch hier war, scheint mehr ihr Vergnügen, als Dein Bestes zu beachten, und weil Du verständig bist, mag ich nicht mehr hinzufügen; auch ist es überflüssig, noch ein Wort zu sagen.«
Diesen Brief bekam Anselmo, und er sah daraus, daß Lotario die Unternehmung begonnen hatte, und daß Camilla ihm nach seinen Wünschen geantwortet haben müsse; sehr vergnügt über diese Neuigkeiten, ließ er Camilla mündlich sagen, sie möchte durchaus ihren Wohnort nicht verändern, weil er sehr bald zurückkomme. Camilla war über diese Antwort Anselmos verwundert und in
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