Don Quixote
Himmel steige, holde Freundschaft, nieder,
Der Trug hat sich dein schönstes Kleid ersonnen,
Er tötet schleichend jegliches Vertrauen.
Nimmst du ihm nicht die falsche Zierde wieder,
So wird die Welt den alten Krieg begonnen
Und Zwietracht wieder als Regenten schauen.
Den Gesang beschloß ein tiefer Seufzer, und die beiden blieben sehr still und aufmerksam, ob sie noch mehr hören würden; da sie aber sahen, daß sich die Musik in Jammer und klägliches Ächzen verkehrt hatte, beschlossen sie, zu erfahren, wer der Traurige sei, dessen Stimme so schön wie sein Seufzen rührend war; sie waren nicht weit gegangen, als sie, indem sie um einen Felsen bogen, einen Menschen von eben der Gestalt gewahr wurden, wie Sancho ihn beschrieben hatte, als er vom Cardenio erzählte. Als dieser Mann sie erblickte, blieb er, ohne sich zu bewegen, unverändert in seiner traurigen Stellung, den Kopf auf die Brust herabgesunken und wie in tiefen Gedanken verloren, ohne die Augen aufzuschlagen oder ihnen mehr als jenen flüchtigen Blick zu gönnen, als sie sich ihm so unvermutet näherten.
Der Pfarrer, der ein beredter Mann war und schon von seinem Unglücke wußte, da er ihn an den Merkmalen erkannt hatte, ging auf ihn zu und bat und beschwor ihn in wenigen, aber vernünftigen Worten, dieses elende Leben zu verlassen, damit er nicht darin umkäme, welches von allen Unglückseligkeiten doch die unseligste sei. Cardenio war gerade bei vollem Verstande und ohne einen Anfall von Raserei, der ihn oft gänzlich von ihm selbst entfremdete; da er also die beiden sah, anders gekleidet, als ihm sonst die Menschen dieser Wüsteneien aufstießen, verwunderte er sich nicht wenig, noch mehr, da er von seinen Leiden wie von einer Sache reden hörte, die man schon kannte; denn das, was ihm der Pfarrer gesagt hatte, machte ihm dies deutlich, er antwortete also mit diesen Worten: »Ich sehe wohl, wer Ihr auch sein möget, meine Herren, daß der Himmel, der für die guten Menschen Sorge trägt und ihnen hilft, wie er es auch oft den Bösen tut, mir gegen mein Verdienst in diese Einöden, vom Verkehr aller Menschen entfernt, Männer sendet, die mir mit Eindringlichkeit und Vernunft, ob ich gleich ohne diese bin, vor Augen stellen, wie ich mich von hier entreißen und ein besseres Los aufsuchen solle. Ihr wißt aber nicht, wer ich bin und wie es wohl möglich ist, daß, wenn ich dieser Lage entrinne, ich wohl in ein noch schlimmeres Unglück stürzen kann; Ihr müßt mich also für einen Menschen von schwachem Verstande halten oder, was noch schlimmer ist, für ganz vernunftlos erklären, und freilich wäre es kein Wunder, wenn Ihr es tätet, denn ich weiß es wohl, wie mich das ewig gegenwärtige Bild meines Elendes so überwältigt hat und so zu meinem Verderben wirkt, daß ich mich selber nicht mehr besitze, sondern oft besinnungslos wie ein Stein bin und jeder menschlichen Empfindung entbehre; darum muß ich auch alles glauben, was mir manche erzählen und mir durch Spuren beweisen, wie ich gehandelt habe, wenn jener schreckliche Zufall alle meine Kräfte beherrscht. Ich kann nun nichts weiter tun als vergeblich klagen und ohne Zweck mein Schicksal verwünschen und zur Entschuldigung meines Wahnsinns jedem, der mich anhören will, mein Unglück erzählen, damit, wenn die Klugen die Ursache erfahren, sie sich nicht über die Folgen desselben wundern und, wenn sie mir nicht helfen können, mich doch wenigstens nicht anklagen, weil ihr Zorn über meinen Frevel in Mitleid über mein Unglück verwandelt werden muß. Kommt Ihr also, meine Herren, in der nämlichen Absicht hierher, in der schon manche hergekommen sind, so bitte ich Euch, ehe Ihr noch in Euren gütigen Überredungen fortfahrt, die Geschichte meines Unglücks anzuhören, weil Ihr vielleicht nachher selber Eure Mühe unnütz findet, mir in meinem Elende Trost zu geben, das durchaus keinen Trost zuläßt.«
Es war gerade der Wunsch der beiden, aus seinem eigenen Munde die Ursache seiner Schwermut zu erfahren, sie baten ihn daher, seine Geschichte vorzutragen, wobei sie versprachen, ihm keine andere Hülfe und keinen andern Trost anzubieten, als die er selber wünschen würde. Der traurige Ritter fing also seine betrübte Geschichte an und trug sie fast mit den nämlichen Worten und Wendungen vor, wie er sie dem Don Qui xote und dem Ziegenhirten vor wenigen Tagen erzählt hatte, als bei Gelegenheit des Meister Elisabat und durch die Gewissenhaftigkeit Don Quixotes, den Gesetzen der
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