Don Quixote
bitten wir dich, edler Ambrosius, wenigstens bitte ich dich dringend darum, diese Papiere nicht zu verbrennen, sondern mir einige davon zu überlassen.«
Und ohne eine Antwort des Schäfers zu erwarten, streckte er die Hand aus und faßte einige, die ihm am nächsten lagen. Als dies Ambrosius sah, antwortete er: »Aus Freundschaft mögt Ihr die, edler Herr, behalten, die Ihr genommen habt, aber es ist vergeblich, wenn Ihr darauf besteht, daß die übrigen nicht verbrannt werden sollen.« Vivaldo, der gern sehen wollte, was die Papiere enthielten, schlug eins davon auf und sah die Überschrift: Verzweifelnde Kanzone. Als Ambrosius das hörte, sagte er: »Dies ist das Letzte, was der Unglückselige geschrieben hat, und damit Ihr, mein Herr, fühlt, wie elend er war, so leset dies Gedicht laut, inzwischen können diese hier mit dem Grabe fertig werden.«
»Ich will es gern tun«, sagte Vivaldo, und da die Umstehenden denselben Wunsch hatten, so versammelten sie sich um ihn, und er las mit lauter Stimme folgendes Gedicht ab:
6. [14.] KAPITEL
Enthält das Gedicht des in Verzweiflung gestorbenen Schäfers, nebst andern unverhofften Begebenheiten
Kanzone des Chrysostomus
Ich soll, du willst es, Schreckliche, verkünden,
Wie groß die Macht von deinem wilden Grimme,
Von Land zu Land, zu aller Menschen Zungen,
Zur Hölle selbst will ich die Wege finden,
Das Mitleid tönt von dort in meine Stimme,
Im Abgrund Trost zu suchen ist gelungen.
Mein wilder Wunsch hat mir es abgedrungen,
Mein Leiden, deine Taten zu besingen.
Die Töne sollen laut die Luft durchschneiden,
Zu tiefrer Qual in allen Eingeweiden,
Im armen Busen seufzend widerklingen.
So höre denn und lausche meinen Tönen,
Kein sanftes Lied, ein Schmettern soll erdröhnen,
So wie die Qual mir wühlt im innern Herzen,
Ein rascher Wahnsinn treibt heraus die Leiden,
Zu meinen Freuden, dir zu bittern Schmerzen.
———
Des wilden Wolfes schreckenvolles Ächzen,
Gebrüll des Löwen, gift'ger Schuppenschlangen
Entsetzliches Gezisch, du gräßlich Sausen
Von tausend Ungetüm, prophetisch Krächzen
Der Krähe, Sturm, wenn du die nassen Wangen
Der Fluten geißelst unter dumpfem Brausen,
Gegirr der Witwentauben in den Klausen,
Des Stiers Geröchel, den die Todeswunde
Zu eitlem Wüten ängstet, dumpf Gestöhne
Der gattenlosen Eule, Klagetöne
Von jeder Schar im unterird'schen Schlunde:
O klingt und helft mir meine Klagen weinen,
Daß alle sich zu einem Ton vereinen,
In wilder Freundschaft durch die Lüfte brechen,
Denn diese Qual, da Herz und Sinn erstorben,
Sie muß in herben, neuen Klängen sprechen.
———
Nie schallten noch so Jammerklagen wider
Am weiten Strand, bespült von Tagus' Wogen,
Wo um den Ölbaum Baetis' Flut geschlungen.
Dort sollen tönen meine wilden Lieder
Durch tiefe Höhlen, über Felsenbogen,
Mit dem lebend'gen Wort von toten Zungen;
Auch dort, im dunkeln Tal, wo nie erklungen
Ein Menschenwort, wo nie ein Gruß gesprochen,
Auch da, wo, unbesucht vom Sonnenglanze,
Nur Unkraut wuchert und die gift'ge Pflanze,
Von Ungetüm, das Nil ernährt, durchkrochen;
Wenn Widerhall in diesen Wüsteneien
Mit heiserm Ton in meinen Jammer schreien
Von deinem unerhört grausamen Sinne,
Erkundet diesen dann die weite Erde,
Im Tode werde dies mir zum Gewinne.
———
Verachtung tötet, durch des Argwohns herben
Heimtück'schen Frost muß die Geduld erstarren,
Und scharfe Schwerter sind Verdacht und Höhnen;
Der Liebende muß an der Trennung sterben:
Nie wird die Hoffnung seiner jemals harren,
Wenn er sich einmal muß vergessen wähnen.
Hierin sind stets gespannt des Todes Sehnen; Doch ich – o seltnes Wunder! – kann noch leben, Verschmäht, verhöhnt, voll Argwohn, überführet Von dem, wo sonst Verdacht wie Tod berühret, Und im Vergessensein, des Flammen um mich weben.
Und unter allen Martern läßt das Hoffen
Mir nach dem Lichte keine Spalte offen;
Verzweifelnd will ich nie die Hoffnung hören;
Nein, um das Äußerste im Schmerz zu leiden,
Von ihr zu scheiden ewig, will ich schwören.
———
Wer kann zugleich in selbem Augenblicke
Doch hoffen und auch fürchten? o des Toren!
Wenn alles nur gerechte Furcht begründet!
Nie tritt die Eifersucht von mir zurücke;
Schließ ich die Augen? Ist sie ja verloren,
Wenn sie in jedem Schmerz den Eingang findet?
Wie wehr ich, daß nicht jedes Gut verschwindet,
Wenn ich Verachtung unverhüllt muß sehen?
Wenn ich den Argwohn muß bestätigt schauen,
Daß ich ihm muß wie fester
Weitere Kostenlose Bücher